: Selbstläufer-Geschichten
Lieblingsmotiv Feuerwehr: Peter Pillers Retrospektive „Zeitungen“ in den Kampnagel-Ausstellungsräumen ■ Von Christian T. Schön
Peter Piller stellt auf Kampnagel aus. Wer ist Peter Piller? Eine Frage, auf die selbst Google keine Antwort weiß. Ist da etwa jemand im Internet verloren gegangen? Peter Piller, ein junger Hamburger Künstler (Jahrgang 1968), der in den letzten drei Jahren in Rotterdam und Basel, in den Kunstvereinen zu Heilbronn und Aachen, in den Hamburger Deichtorhallen und auf Kampnagel ausgestellt hat – lost in web?
Ganz im Gegenteil. Gleich um die Ecke von Peter Lichts homepage befindet sich www.peterpiller.de – ein unbedingt sehenswertes Fotoarchiv der allzu häufig vernachlässigten und belächelten Lokalpressefotografie. 4000 bis 5000 Motive, unterteilt in achtzig Themengebiete, umfasst die Sammlung, die Piller in den letzten drei Jahren zusammengetragen hat.
Begünstigt wird sein Kunstschaffen durch das berufsmäßige Durchblättern von Zeitungen aus dem gesamten Bundesgebiet für eine Hamburger Clip-out-Firma. Dadurch hat Piller unbegrenzten Zugang selbst zu den entlegendsten Lokalpresseerzeugnissen wie dem Amberger Anzeiger oder der Landshuter Zeitung, und seine Bilder waren schon im Magazin der Süddeutschen und im Mittelweg abgedruckt.
In den Kampnagel-Ausstellungsräumen kx präsentiert er jetzt seine erste große Retrospektive. Die äußerst beliebte Serie Durchgeschnittene Einweihungsbänder eröffnet den Rundgang. Durch die Reihen der anonymen Lokalprominenz – jeder mit einer Schere und einem Stück Einweihungsband bewaffnet – schreitet der Besucher in die hellen Ausstellunsgräume. Die kleinen Zeitungsbilder hat Piller auf A4 oder A3 vergrößert und in Bildtrauben an den Wänden angeordnet.
Auf vielen Bildern kann man der Feuerwehr beim Feuerlöschen zusehen. Überhaupt sind Feuerwehr und Polizei Pillers Lieblingsmotive in der lokalen Presse: beim Gruppenfoto, beim Kruzifixaufhängen, beim Osterfeuer („Menschen vor Feuer“), vor dem abgesperrten Tatort, vor Wohnhäusern. Tagesgespräch halt.
Geschichten, die sich selbst erzählen, drängen sich dabei unmittelbar auf: Der Ortsrat bei der Feld- und Flurbesichtigung: Hier soll also die neue Kläranlage oder die Reihenhaussiedlung entstehen?! Menschen blicken traurig in die Fluten, wo sich Unglaubliches ereignet hat. Menschen zeigen auf Tatorte. Typische Klischeegeste fürs Pressefoto, meist initiiert vom einfallslosen Fotografen. Menschen zeigen auf geöffnete Gullideckel. Rätselgewinner präsentieren Geldscheine. Und die Frauen vom Schützenverein präsentieren stolz und völlig unmartialisch das Gewehr.
Peter Piller zeigt in seiner Auswahl der Motive Gespür für die letzten erkennbaren, sozialen Gemeinschaftsstrukturen: Kommunalpolitiker im Spatenstichkollektiv oder beim Händeauflegen, Gewinner beim Auto berühren, Handwerker bei der Arbeit: ein Schraubenschlüssel, drei Hände, „Bitte lächeln!“ (Auf Pillers homepage findet sich dazu als Gegenstück eine an seinem Arbeitsplatz angefertigte Zeichnung: „Wir sind keine Familie.“)
Oder die Ehepaare, die sich entschlossen zeigen, ihren heilen, heiligen, hauseigenen Garten gegen den angeblich überall grassierenden Vandalismus zu verteidigen, der auf der darunter angeordneten Bildreihe bereits Parkbänke verwüstet hat. Oder die Container der Kleiderspende mitwillig umgestürzt hat.
Wir wissen aber nicht, ob sich hinter der unscheinbaren Wohnhausfassade, vor der eine Polizeistreife steht, ein Verbrechen abgespielt hat oder nicht. Denn Piller enthält uns die Bildunterschriften vor. Wir sind auf unsere eigenen (Vor-) Urteile angewiesen.
Nicht immer erschließen sich dabei die Kontexte leicht. Noch ist nichts zu sehen lautet der Titel für eine Fotoserie von Neubaugebieten, „Bauerwartungsflächen“ genannt. Der Zusammenhang wird oft verdeckt von vordergründigen Rekonstruktionen oder den sich ins Bild schiebenden Lokalpolitikern, Zeugen und Betroffenen. Dennoch zeigt die Ausstellung eine eindringliche Phänomenologie der urbanen und ländlichen Gesellschaftsfotografie und dortiger Darstellungscodes, die durch Pillers neuen Kontextkonstruktionen oft komisch und absurd wirken, ohne die Abgebildeten der Lächerlichkeit preiszugeben. Satisfaction guaranteed!
Bis 18. November, Kampnagel (kx), Jarrestraße 20 (im Verwaltungsgebäude), Do-So 16-20 Uhr. www.peterpiller.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen