: Yabanci dilin yerlileri
Die Einheimischen der Fremdsprache: Das Verhältnis der Migranten zur deutschen Sprache ist Ausdruck für ihr Fremdbleiben in der deutschen Kultur. Mit der Fähigkeit, sich in das Andere hineinzuversetzen, verliert das Eigene den Charakter einer Festung
von ZAFER ȘENOCAK
Das Verhältnis zur deutschen Sprache ist für die Geisteshaltung und das Selbstverständnis der türkischen Zuwanderer in Deutschland von zentraler Bedeutung. Wer hier geboren wird, aber von Eltern stammt, die aus einem anderen Land kommen, wächst oft mit zwei oder mehr Sprachen auf. Oft wird über fehlende Sprachkompetenz der Kinder aus Einwandererfamilien geklagt. Ob man die deutsche Sprache beherrscht, sagt aber noch nichts darüber aus, mit welchem Gefühl man sie spricht. Sprache ist nicht Mathematik, nichts, was man formelhaft lernen kann.
Der schwierige, oft von Zurückweisungen begleitete Integrationsprozess, aber auch fehlende Empathie auf Seiten der Zuwanderer führt bestensfalls zu einem erlernten Deutsch, das fast ohne Sprachgefühl auskommen muss. Die Kultur der Sprache bleibt fremd. Wörter sind eine andere Art von Währung, mit der man etwas erwerben kann, ohne etwas von sich preiszugeben. Das ent-fremdete Verhältnis zur deutschen Sprache ist ein Ausdruck für das Fremdbleiben in der deutschen Kultur.
Gibt es ein Heimatgefühl in der Sprache? Sprache ist vor allem Zuhören. Noch bevor es zu sprechen beginnt, nimmt das Kind Sprache auf, hört seiner Welt zu. Diese Sprachen können verschieden sein, wenn Vater und Mutter nicht dieselbe Muttersprache sprechen. Das Gefühl für die Sprache ist vor der Rationalisierung des Sprachgefühls durch später einsetzende Lernprozesse ein musikalisches Erlebnis. Es ist sinnlich, vergleichbar mit dem körperlichen Kontakt, eine Beschriftung des Bewusstseins durch Berührung.
Wie wird man von einem Wort berührt? Was fühlt man dabei? Das Sprachgefühl wird durch den Sprachprozess überlagert. Dennoch bestimmt es unseren Blick auf die Sprache, unsere Kapazität, Sprache zu genießen. Wenn das Sprachgefühl unterentwickelt ist oder durch die Psyche beschränkt oder gar negiert wird, kommt es zu einem mechanischen Sprachgebrauch, der den Sprachgenuss beeinträchtigt. Diese Erfahrung kann man machen, wenn man Fremdsprachentexte liest. Vor allem bei poetischen Texten versagt oft das Sprachgefühl. Der Genuss bleibt aus, obwohl ein Verstehen scheinbar vorliegt. Aber auch Abneigung und Distanz zur Kultur der fremden, in manchen Fällen auch der eigenen Sprache führen zu ähnlichen Phänomenen.
Ein schwach ausgeprägtes Sprachgefühl ist immer eine Sprachverhinderung. Umgekehrt können durch Empathie Mängel im Sprachgefühl ausgeglichen werden. Alle Schriftsteller, die in einer Sprache schreiben, die nicht ihre Muttersprache ist, haben ein empathisches Verhältnis zur Kultur dieser Sprache. Sprache bildet nicht nur die Grundlage für Kommunikation. Sie ist auch die Voraussetzung für kommunikatives Handeln. Verständigung setzt Verständnis voraus.
Sprachgefühl kann nicht erlernt, aber empathisch erworben werden. Mit der Fähigkeit, sich in das Andere hineinzuversetzen, verliert das Eigene den Charakter einer Festung. Abschottung macht Öffnung und Überschreitung Platz. Sprache fließt, berührt und erzeugt Lust. Wörter können schmecken, riechen und berauschen. Man kann sich in der Sprache treiben lassen, ohne Ziel, wie ein Derwisch auf der Suche nach der Stimme in seinem Herzen.
Der Autor ist Schriftsteller, geboren 1961 in Ankara, und lebt seit 1970 in Deutschland, zurzeit in Berlin. Soeben im Babel Verlag erschienen ist die Essaysammlung Zungenentfernung“.
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