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40 Jahre woanders40 yil yabanci bir yerde

Die letzten Jahre sind dadurch gekennzeichnet, dass die Zahl der Rückblicke ständig zunimmt. Vor dem Prozess des Recyclings aus dem riesigen intellektuellen Müllhaufen der Soziologie ist nichts gefeit, weder Religionen, Religionskriege, Demokratie, Ideologien noch Ethnien.

Kommentar von CEM DALAMAN

Zu den Lieblingsopfern der hiesigen, teils nicht sehfähigen Recyclingexperten gehören immer wieder die Türken, je nach politischer Einstellung auch als Islamisten, ehemalige Gastarbeiter, Migranten, Kanaken oder als muslimische Mitbürger bezeichnet. Gerade wird ein 40 Jahre alter Anwerbevertrag als Anlass genommen, um die Türken in den Medien, auch hier, auch mit diesem Artikel, zu recyceln. Dabei betrachten die Betroffenen selbst das Ganze, also auch diesen Vertrag, als hyperrealen Anachronismus. Sie können sich das erlauben, weil sie schon längst in diesem Land angekommen sind, viel schneller und verwurzelter, als die deutsche Mehrheit es glaubt, aber auch anders. Sie haben hier sich ihre eigene Zeitlichkeit, ihren eigenen Wahrnehmungsraum, ein Netz, eine von außen schwer durchdringbare Realitätsebene geschaffen. Sie haben im Großteil dieser 40 Jahre tagtäglich die Indifferenz der Gesellschaft, Parteien, Institutionen, sowohl deutscher als auch türkischer Organisationen gegenüber ihren Sorgen und Problemen, ihrer Herkunft und Entwicklung erlebt.

Als Konsequenz haben sie sich zurückgezogen aus dieser Welt, die sie deshalb neuerdings auch „Heimat“ nennen, weil sie von ihren Gefühlen und Sinnen nicht berührt werden, sondern, wenn überhaupt, nur betäubt. Sie verstehen unter dem Begriff „Heimat“ etwas ganz anderes, als die Politiker und Soziologen dies gern hätten. Sie wehren sich in ihrer Art gegen eine Umgebung, die vorgibt, Heimat zu sein, jedoch zur Entfaltung die Selbstaufgabe fordert. Ihre Gegen-Heimat (die so gescholtene Parallelwelt) ist ein gezwungenes Solidaritätsgefühl als Schutzmechanismus gegen Anfeindungen von außen, der Ort, in dem sie sich sicher fühlen. Der Obstladen an der Ecke, die Dönerbude des Schwagers, die Türkpop-Diskothek, auch die Moschee.

Wer die vorhandenen Normen in Frage stellt, nicht bereit ist, zu „funktionieren“ und seine Individualität zu adaptieren, wird von den gängigen Mechanismen ausgeschlossen; dies ist die Erfahrung der Türken in 40 Jahren. Sie sind gezwungen, auf eine tatsächliche Teilnahme an der „Heimat“, also der deutschen, zu verzichten bzw. sich eine abstrakte Heimat zu errichten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Solange die Türken als Recyclingmasse betrachtet, aber nicht „gesehen“ werden, wird ihr Sinn für Raum und Zeit auch nicht erfasst. Na dann: Prosit 40 Jahre!

Cem Dalaman ist Redakteur bei SFB 4 Radio MultiKulti

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