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The long Good-bye

Die mittelfristig letzte rot-grüne Senatssitzung: Rührung, Kollegialität und Reißwolf  ■ Von Peter Ahrens

Der gestrige Abschiedstag im Senat lief ungefähr so ab: Bürgermeister Ortwin Runde stand auf und hielt eine kurze Rede, in der einiges vom „kollegialen Stil“ der vergangenen vier Jahre die Rede war und davon, dass „das ausgeglichene Geschlechterverhältnis“ dazu beigetragen habe. Dann stand der dienstälteste Senator Eugen Wagner auf und ergriff das Wort, in dem einiges von einem „kollegialen Stil“ die Rede war und davon, dass der Erste Bürgermeister dazu beigetragen habe. Dann stand der dienstälteste Staatsrat Peter Lippert auf und sprach davon, dass der „kollegiale Stil“ der vergangenen vier Jahre ihm gut gefallen habe. Um 10.42 Uhr beendete Ortwin Runde die letzte rot-grüne Senatssitzung nicht mit den üblichen Worten: „Die Sitzung ist geschlossen“, sondern mit: „Das wars.“

Senatssprecher Ludwig Rademacher sind die Kenntnisse dieser hochinteressanten Petitessen zu verdanken. Wer ein guter Pressesprecher ist, verrät aber nicht alles. Er sagt nichts darüber, dass die Sozialsenatorin unkonzentriert wirkte, immer wieder wortlos den Bescheid aus ihrer Behörde hinterfragend: „Wie, ich erhalte nur Sozialhilfe, wenn ich eine entsprechende Gegenleistung erbringe?“ Rademacher schweigt dazu, dass Wirtschaftssenator Thomas Mirow immer nur ein „Icke, icke, icke“ vor sich hin sprach, zitierend aus dem Buch: „Berlin für Anfänger.“

Kein Wort von Rademacher dazu, dass die Kultursenatorin beinahe irren Blickes immer und immer wieder den alten Leandros-Song vor sich hin summte: „Ja, ja, der Peter, der ist schlau, schlau wie der Fuchs in seinem Bau.“ Nichts dringt über die Lippen des loyalen Rademacher von der Finanzsenatorin, die ihren Kollegen vom Umweltressort beschwörend fragt: „Willst du –ne HHLA kaufen? Echtes Schnäppchen. Oder nimm doch wenigstens ein Pfund Landesbank. Nimm du es, bevor es die anderen verscherbeln. Alles muss raus.“ Kein Rademacher-Statement zu dem alles übertönenden Rattern des Reißwolfes, mit dem Krista Sager die gesamten Geheimunterlagen des Senatsamtes für Gleichstellung vernichtet. „Von Beust darf niemals erfahren, dass wir den Töchtertag konzipiert haben.“ Wird er nicht. Rademacher wird schweigen.

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