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Das Ego als Insel

Die Kunst-Biennale in Istanbul setzt unter dem Titel „egofugal“ auf „kollektives Bewusstsein“ und „Zusammenleben“ als Gegenmodell zu den sozialen Unzulänglichkeiten der Globalisierung

von ANGELIKA RICHTER

Katastrophen und Kriegssituationen sind für die Türkei nichts Neues. Die USA haben noch immer zwei Flugzeugbasen aus dem Golfkrieg im Land, und einen Monat vor der letzten Kunst-Biennale 1999 ereignete sich eines der schlimmsten Erdbeben, bei dem 40.000 Menschen starben, 4.000 davon in Istanbul.

Entsprechend schnell hat die 7. Biennale auf die Ereignisse vom 11. September reagiert: Während der Empfänge zur Eröffnung gab es Taschen- und Körperkontrollen. In der japanischen Botschaft war das Sicherheitspersonal sogar mit schusssicheren Westen bekleidet. Komplikationen und Verzögerungen gab es nur für einige teilnehmende Künstler. Arbeiten wie etwa die Videoinstallation „Star City“ der britischen Künstlerinnen Jane and Louise Wilson erreichten Istanbul erst nach Beginn der Ausstellung. Der amerikanische Lichtkünstler James Turrell entschied sich gegen einen Flug in die Türkei, weshalb seine Arbeit auf dem Leander Turm, einem im Bosporus zwischen Asien und Europa liegenden Leuchtturm, nicht realisiert werden konnte.

Auch das Thema dieser Biennale passt zur aktuellen Lage: „egofugal – fuge from ego to the next emergence“ ist als Anspielung auf Globalisierung, ethnische Konflikte, Umweltkatastrophen und Kriege gemeint. Wie die diesjährige Biennale-Kuratorin Yuko Hasegawa aus Japan in ihrem Katalogtext schreibt, geht es um die Notwendigkeit, neue Lebens- und Umgangsformen entwerfen zu müssen. Die von Hasegawa aufgezeigten Perspektiven sind „kollektives Bewusstsein“, „kollektive Intelligenz“ und „Zusammenleben“. Dafür muss man das Konzept des modernen Egos überdenken, was schon im Wortspiel „egofugal“ anklingt – mit fugal ist die Veränderung einer Melodie durch ihre Gegenspieler gemeint.

Hasegawas Wortkreation verweist auf ihr Anliegen: Wie kann man bei Bewahrung von Subjektivität und Individualität des Einzelnen mehr Koexitenz untereinander anstreben? Illustriert wird diese Idee in der Analogie zum Archipel: Jede Insel ist getrennt von der anderen, aber gleichzeitig auch Teil einer größeren Konstellation. Die Kunst bietet in dieser angestrebten Konstellation neue Erfahrungsräume und wird deswegen als „information for survival“ in und für unsere Zeit verstanden.

Die entsprechenden Arbeiten, die in Istanbul zu sehen sind, hat der Soziologe Nicolas Bourriaud schon 1995 unter dem Begriff von der „relationellen Ästhetik“ gefasst. Sie beruhen auf Interaktion und Sozialität und entwerfen gleichzeitig neue Kommunikationsmodelle. So zeigte Rirkrit Tiravanija nach Umfragen in Istanbul sein „Community Cinema for a Quiet Intersection“. Die vier von den Einwohnern am meisten favorisierten Filme liefen auf quadratisch arrangierten Leinwänden an mehreren Abenden auf einem ruhigen Platz in der Stadt. Bei der „Elegant Sick Bus“-Performance des Albaners Sislej Xhafa schoben unter größter körperlicher Anstrengung Beschäftigte der Biennale und Istanbuler gemeinsam einen silberverkleideten Bus von einem Parkplatz zum Ausstellungsort. Stilvoll und leicht verspielt war dagegen die Arbeit des türkischen Modedesigners Hussein Chalayan: Verschiedene Versionen seines „Airmail Dress“ konnten zusammengefaltet mit der Post verschickt werden.

Doch bei all den Forderungen nach mehr Publikumsbeteiligung ist die Topografie der Ausstellungsorte ein wenig hinderlich. Der ehemalige unterirdische Wasserspeicher Istanbuls, der Komplex der kaiserlichen Münzpresserei und die im 4. Jahrhundert gebaute byzantinische Kirche Hagia Eirene liegen im alten religiösen und politischen Zentrum Istanbuls, sind als touristische Highlights vom alltäglichen Stadtleben relativ abgeschlossen. Der Beylerbeyi Palast, der vierte der Ausstellungsorte im asiatischen Teil der Stadt, ist isoliert und nur über die Bosporusbrücke oder mit der Fähre zu erreichen. Die Performance von Maja Bajevic im Hamam fand zwar an einem öffentlichen Ort statt, war allerdings nur für Frauen zugänglich.

Neben dem Schwerpunkt zur sozialen Interaktion gibt es Kunstwerke, die sich mit Technologien zur Erleichterung und Realisierung von kollektiven Ansätzen beschäftigen. Dabei kommt der Kunst eher die Funktion zu, Visionen zu entwerfen, anstatt konkrete ökonomische und soziale Entwicklungen hervorzubringen. Die Arbeit der koreanischen Künstlerin Lee Bul etwa ist von Hongkong-B-Movies, Mangas und japanischen Science-Fiction-Filmen beeinflusst. Am meisten interessiert sie die Erscheinung des Cyborgs: als ein Hybrid aus einer Maschine und dem Menschen bzw. einer organischen Kreatur, lebt er in einer sozialen Realität und zur gleichen Zeit als Fiktion. Ihre Skulpturen in der Yerabatan Zisterne, einem der vier Ausstellungsorte der Biennale, sind eine Symbiose aus weiblichem Körper und Fantasierüstung, die einen eigenständigen Organismus repräsentieren. Die von Bul auch in ihren Videoarbeiten eingesetzten Figuren sind Archetypen, die aus keiner logischen Evolution hervorgegangen sind und gerade deswegen als Allegorien für das Überleben verstanden werden können. In ihrer letzten Arbeit „Crush“ verschwindet der Körper, nur die transparente und durchlässige Struktur von kristallinen Neuronen bleibt.

Ein fiktiver und konstruierter Körper diente auch Philippe Parreno, Pierre Huyghe und Dominique Gonzalez-Foerster als Ausgangspunkt für ihre Videoarbeiten. Sie kauften einer japanischen Produktionsfirma die Rechte für eine Manga-Figur ab. Der Preis dieser Cartoon-Charaktere ist davon abhängig, in wie weit sie sich in der jeweiligen Geschichte bewähren. Wenn sie nur für ein paar Sekunden in einem Zeichentrickfilm erschienen sind, um dann für immer zu verschwinden, ergibt sich daraus ein günstiger Kaufpreis.

Als Ergebnis sind drei Videoinstallationen um die Heldin Annlee entstanden. Jeder der Künstler hat ihr eine unterschiedliche Individualität gegeben, nur das Ausgangsmaterial, ihre gezeichnete Hülle, ist identisch. In Parrenos „Anywhere out of the world“ beschreibt Annlee sich als bloßes Zeichen: „I have no voice. I am only a sign. I am no ghost, just a shell“. In Dominique Gonzalez-Foerster „Annlee in Anzen Zone“ hat sich die Figur verdoppelt: Eine spricht in ihrer japanischen Originalsprache, die andere Englisch – beide erzählen allerdings von subjektiver Erfahrung, die auch verbunden ist mit Ängsten vor Manipulation und Eingriffen.

Weniger technoid und futuristisch, dafür sehr lebensnah ist die Arbeit „Haunted Houses“ von dem Thailänder Apichatpong Weerasethakul. Die täglich nach 8 Uhr in allen thailändischen Haushalten ausgestrahlten Soap-Operas dienen ihm als Ausgangspunkt seines Videos. Apichatpong lässt Dorf- und Landbewohner die Rollen der Soap-Stars nach dem Script der Originale spielen. Das Remake gibt den Akteuren die Chance, ihre kollektiven Sehnsüchte nach einer anderen Identität und Erfahrung, wenn auch wieder nur als Fiktion auszuagieren und für die Länge des Films zu leben. Ein schöner und unbefangener Kommentar zum Biennale-Konzept.

Bis 17. 11. Der Katalog ist in türkischer und englischer Sprache erhältlich und kostet ca. 20 DM.

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