: Pekinesen im Parkett
Drei Hunde, drei Herrchen, drei Welten in einem Film über die Gewaltstadt Mexico City: In „Amores Perros“ von Alejandro González Iñárritu tragen die Vierbeiner Krisen und Kämpfe ihrer Besitzer aus
von ANKE LEWEKE
Eine Verfolgungsjagd quer durch Mexico City, ein hupender Fahrer, Schüsse und ein hilfloser Begleiter, der den leblos hin- und herrutschenden Körper eines Verletzten immer wieder auf die Rückbank drückt. Von „Reservoir Dogs“ zu „Amores Perros“ – bei Quentin Tarrantino versuchte Harvey Keitel verzweifelt die Blutungen des lauthals schreienden Tim Roth zu stillen. Im Film von Alejandro González Iñárritu ist es der angeschossene Rottweiler Cofi, der in einer riesigen Blutlache vor sich hin wimmert.
In Sachen Dynamik, Power und ausgetüfteltem Spiel mit den Zeitebenen steht der mexikanische Regie-Debütant dem Amerikaner in nichts nach. Die nervenaufreibende Autojagd übernimmt bei ihm die Funktion des Etablishing-Shot, die verschiedenen Schauplätze des Films werden in Sekundenschnelle durchquert, von den abgerissenen Wellblechhütten führt die Route bis nach Downtown – und endet mit einem ohrenbetäubenden Knall. Ein schwerer Autounfall wird drei Schicksale miteinander verschränken, drei Leben, denen Iñárritu in Vor- und Rückblenden (oder besser -sprüngen) nachgeht, um dabei so etwas wie ein Triptychon des zeitgenössischen mexikanischen Lebens zu entwerfen.
Ein Jugendlicher, ein Model, ein Penner – drei Klassen, drei Welten, die sich filmisch anders repräsentieren und trotzdem zusammengehören. „Amores Perros“ ist ein semidokumentarisches Gang-Drama um eine unerwiderte Liebe, ein surrealistisches Kammerspiel mit einem verlorenen Bein in der Hauptrolle, ein psychologischer Thriller, in dem sich ein Penner als Berufsmörder entpuppt. Des Menschen bester Freund ist in allen drei Episoden der rote Faden. Immer wieder sind es in diesem Film die Amores Perros, die geliebten Hunde, auf deren Rücken die Kämpfe, Konflikte, Krisen ausgetragen werden, symbolisch, konkret und spiegelbildlich.
In der Wohnküche des arbeitslosen Octavio sind nur die banalsten Zeichen der Globalisierung eingezogen: Computerspiele, Musikclips und coole Marken-T-Shirts. Weil er nicht weiß, wie er anders an Geld kommen soll, richtet Octavio Gofi zum Kampfhund ab. Eine abgerissene Lagerhalle plus korruptem Manager wird zum Schauplatz der Geschäfte jenseits der Geschäfte. So holt sich jeder sein Stück vom Kuchen, so erzählen die toten Körper der Hunde auch von anderen verlorenen Kämpfen. Das Leiden der Tiere als schlichtes Zeichen menschlicher Brutalität.
Gewissermaßen paradigmatischer Verwandter des ausgebeuteten Gofi ist der Esel, der 1966 in Robert Bressons „Zum Beispiel Balthasar“ die Hauptrolle spielte. Auch Bresson erzählt die Geschichte einer geschundenen Kreatur. Um seinen gutmütigen Esel gruppierte er in einer Art sozialer Versuchsanordnung Personen, die das Tier quälen und misshandeln. Wobei der Film es tunlichst vermied, den Esel wie in einer Fabel zu vermenschlichen oder dem Menschen die Rolle des eigentlichen Tieres zuzuweisen. Auch in Iñárritus „Amores Perros“ bleiben die gewalttätigen Akte soziales Symptom und werfen die Figuren immer wieder auf ihr Menschsein zurück.
Schon lange lebt der ungepflegt aussehende Mann mit seinen Hunden abseits der Gesellschaft. Andeutungen verweisen auf eine Vergangenheit als politischer Aktivist, doch er scheint mit allem abgeschlossen zu haben, verdient sein Geld als Berufsmörder. Manchmal zieht er mit dem Rudel durch die gestylten Geschäftsstraßen, als wolle er zeigen, dass auch die neu installierte Demokratie in Mexiko längst nicht Platz für alle Stimmen und Geschichten hat. Bei einem der Streifzüge wird der Mann Zeuge des Autounfalls. Er schnappt sich Gofi, versorgt ihn. Kaum gesundgepflegt, gehen die Killerinstinkte des Hundes wieder mit ihm durch.
Es ist Gofi, der seinem neuen Herr den Spiegel vorhält und damit vom Killerdasein erlöst. Eine Lektion, die der Mann umgehend weitergeben wird: Statt den nächsten Job auszuführen, nimmt er Auftraggeber und Zielperson gefangen, bindet die beiden in verschiedenen Ecken eines Zimmers fest und legt eine Pistole in die Mitte. Knurrend gehen die Männer aufeinander los. Eine fatale Situation, die an den Beginn eines Hundekampfes erinnert. Dabei handelt es sich um zwei Brüder, die in einem beruflichen Konkurrenzverhältnis stehen.
Natürlich lassen sich solche Bilder als sozial aufgeladene Metaphern lesen, doch sie erzielen auch ohne weitere Sinndeutung ihre Wirkung. Ein Grundgefühl der allgemeinen Verunsicherung durchzieht den Film, zeigt eine Gesellschaft, die in ständiger Anspannung lebt. Auch die, die es geschafft haben, leben hier auf wackeligem Boden.
Das Geld hat nicht mehr für die Nägel gereicht, deshalb kracht der schöne Parkettboden mitten im Flur des schnieken Appartments zusammen und mit ihm der Pekinese Richie. Verzweifelt versucht sein Frauchen, ein Kosmetikmodel, das Tier aus dem Loch zu bekommen, doch alles, was von Richie bleibt, ist ein entferntes Bellen. Sein Hundefutter fressen die Ratten.
Die verschachtelte Erzählform, der gekonnte Wechsel der Tonlagen, der variantenreiche Look – „Amores Perros“ ist hypermodernes Kino und hochmoralisches Lehrstück zugleich. Die geschundenen und geschlagenen Leiber der Hunde werden zum Ausdruck einer allumfassenden Kreatürlichkeit und Verletzlichkeit, entziehen sich der allzu eindeutigen Interpretation. Ein eigentlich gutmütiger Rottweiler, ein schleifchentragendes Schoßhündchen, ein bunter Haufen Straßenköter. Ein Hund ist ein Hund ist ein Hund – auch im Mexico City des Jahres 2000.
„Amores Perros“. Regie: Gonzales Iñárritu. Mit Emilio Echevarría, Gael García Bernal, Goya Toledo, Vanessa Bauche, Jorge Salinas u. a. Mexiko 2000, 147 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen