Paula im Rotationssystem

■ Die „rochade“ der Kunstsammlungen in der Böttcherstraße eröffnet Perspektiven

Armer Museumsmann. Was soll er bloß mit diesem wunderlichen Raritätenkabinett machen? Was tun mit dem vollgestopften Patrizierhaus, in dem wuchtige Schränke, Gobelins und silbernes Geschirr den Blick auf erlesenste Tafelgemälde versperren? Doch der Museumsmann weiß sich zu helfen. Rainer Stamm ist nicht nur für das eigentümliche Roselius-Haus verantwortlich, sondern auch für das renommierte Paula Modersohn-Becker Museum. Und so tauscht der Leiter des Doppelmuseums in der Böttcherstraße einfach die Bilder der beiden Sammlungen aus.

Paula zieht in die Wunderkammer. Und die Gemälde und Skulpturen aus dem Mittelalter, Barock und Rokoko wandern in die Hallen des Modersohn-Becker Museums. Mit dieser „rochade“ kehrt die frühe Expressionistin für drei Monate in das Ambiente zurück, in dem sie ursprünglich rezipiert worden war: Die gute Stube eines privaten Sammlers. Bislang vom neutralen Weiß der Ausstellungsräume umgeben, hängen Paulas Bilder jetzt vor einer blauen Tapete mit Goldornamenten, eingerahmt von gotischen Möbeln.So lässt sich ganz neuen Bezügen nachspüren, die sich etwa ergeben, wenn das Motiv von Modersohn-Beckers „Liegende Mutter mit Kind“ von der gotischen Marienskulptur direkt daneben wiederholt wird. Die neue Heimat Paulas hatte ihr Sammler Ludwig Roselius 1928 als eine „Wohnstätte der Vorfahren“ konzipiert. Hier türmte der stramm völkisch-nationale Unternehmer einst auf, was er für „niederdeutsche“ Kunst hielt. Durch den Umzug aus der ideologischen wie räumlichen Enge des Roselius-Hauses befreit, können Bartholomäus Bruyn der Ältere, Lucas Cranach und ihre vielen Kollegen jetzt aufatmen.

Denn in dem neuen Domizil lassen sich die Gemälde und Skulpturen der alten Meister nun auf ihren „ästhetischen und historischen Eigenwert“ hin befragen, freut sich Rainer Stamm.Neben einigen Werke aus dem Depot förderte der Umzug der Bilder auch etwas Tage, was im Roselius-Haus verborgen war. Von einem großen Altarbild war bislang nur die Vorderseite zu sehen - die Kreuzigung, als ein mittelalterlicher Comic in Szene gesetzt. Jetzt erblickten dank der freien Aufstellung im Raum auch zwölf Heilige auf der Rückseite des Altarbildes das Museumslicht.Neben solchen Neuentdeckungen bietet die Ausstellung vor allem einen anderen Blick auf bereits Vertrautes - durch einen neuen Kontext. Dieses Zauberwort wurde in den letzten Jahren von den Künstlern beschworen, die den gesellschaftlichen Rahmen des Kunstbetriebes erforschten. Dass sich auch Ausstellungsmacher als „Kontextkünstler“ profilieren können, um alten Meistern und einer Vertreterin der klassischen Moderne auf den Leib zu rücken, zeigt der Bildertausch in der Böttcherstraße. Einfache Ideen sind bekanntlich oft nicht die schlechtesten.

Peter Ringel

Noch bis 27. Januar in den Kunstsammlungen Böttcherstraße