: Abschied von der Focus-Group
Was wollt ihr sehen? D-Box-Besitzer können sich beim interaktiven Sender „9D TV“ als Progamm-Macher ausleben
Die Glotze wird demokratischer: Wer Mitglied in der Zuschauerfamilie des neuen digitalen Mitmach-Fernsehens 9D TV ist, kann über neue Sendeformate abstimmen, an Quizshows von zu Hause aus teilnehmen oder Warenproben direkt bestellen. Per Fernbedienung. Die Verwechslung mit dem aus tm 3 entstandenen Mitmach-Kanal 9 live, der sich mit teuren 0190er-Telefonnummern refinanzieren will, ist dabei offenbar gewollt. Beim neuen Digital-Sender aber zahlen die Zeche nicht die Zuschauer, sondern die Firmen, die interaktive Inhalte veröffentlichen.
9D TV mit Sitz in Köln startete gestern den bundesweiten Sendebetrieb. Empfangen werden kann der nach eigenen Angaben „erste interaktive digitale Fernsehsender“ von rund 1,6 Millionen Premiere World Abonnenten und anderen Inhabern der D-Box. Weichen muss keiner der dort angestammten Kanäle: 9D TV nutzt den digitalen Rückkanal, der in jeder dieser Boxen enthalten, bislang aber kaum genutzt worden ist.
„Während einer halbstündigen Sendung werden den Zuschauern drei bis vier Frageblöcke serviert“, sagt Geschäftsführer Kai Sterzenbach – Marktforschung eben, bis hin zur kompletten TV-Produktion. Jeder könne frei entscheiden, ob er sich daran beteiligt. Dass sich aber nur wenige weigern, will man mit speziellen Anreizen erreichen: Es soll Bonuspunkte auf Rabatt-Sammelkarten bestimmter Unternehmen geben und Premiere-World-Abos. Und außerdem wird die Möglichkeit geboten, die neue Staffel einer Fernsehserie vorab zu sehen.
Ein Privatsender will bereits in diesem Monat ein neues Format auf 9D TV testen. Die Zuschauer können daraufhin entscheiden, ob die Serie ins Programm genommen wird. Das erspart teure Marktforschung und die unzuverlässigen Focus Groups, die bislang stellvertretend vorab gucken durften. Die Meinungsforschung hält Einzug auf die Wohnzimmercouch.
Zunächst wird 9D TV täglich von 20 bis 24 Uhr senden, mittelfristig soll der Sendebetrieb rund um die Uhr stattfinden. Finanziert wird der Sender zur Hälfte von Wagnis-Kapitalfonds der Kölner Sparkassen. Die andere Hälfte tragen private Investoren. Sterzenbach hat bereits Erfahrungen im digitalen Mitmach-Fernsehen gesammelt. Mit seiner Firma „Forschungskanal“ hat er Manager-Befragungen für das Bundeswirtschaftsministerium oder Konsum-Studien für Kaufhäuser gemacht. Solche „geschlossenen Zielgruppen“ wird es beim Digital-Sender auch weiterhin geben – außerhalb der „öffentlichen“ Sendezeiten. Zur abendlichen Vier-Stunden-Prime-Time aber soll eine breite Öffentlichkeit für das Frage-Antwort-Spiel begeistert werden.
Den Datenschutz sieht 9D-Chef Sterzenbach in dem Projekt gesichert. Technisch wäre es immerhin möglich, das Abstimmungsverhalten regelmäßiger Teilnehmer zu speichern und den seit langem von der Werbeindustrie gewünschten „gläsernen Zuschauer-Konsumenten“ zu kreieren. Verhindert werden soll das, indem die Daten allein bei der 9D-Zentrale erhoben werden – und die Zusammenführung der Ergebnisse verboten bleibt.
Die Vorbilder des digitalen Mitmach-Fernsehens laufen
in Großbritannien und Frankreich: Bei den Briten eher als klassischer Einkaufskanal, in Frankreich werden hauptsächlich interaktive Video-Spiele im Digital-TV vorgestellt. Die Finanzierung übernehmen Sponsoren, die sich – wie die Whisky-Hersteller beim deutschen „Moorhuhn“ – einen Werbeeffekt für ihre Marke versprechen. Ob es für so etwas auch in Deutschland einen Markt gibt, wird der neue Sender schnell feststellen. Denn die einfachste Abstimmung per Fernbedienung ist immer noch die Ausschalt-Taste. FRANK ÜBERALL
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