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tamtürktür . . . türkenwohlsein von BJÖRN BLASCHKE

Der einstige Staatspräsident Turgut Özal, wegen seiner Leibesfülle von den Türken „Tonton“ geheißen, trat irgendwann nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 in allah Ruhe vor die TV-Kameras – im strahlenden Schatten der radioaktiven Regenwolken, die sich über den Teefeldern seiner Untertanen entleert hatten. Um zu demonstrieren, dass der türkische Tee trotz aller bösen Gerüchte nicht verseucht sei, erhob er ein Glas „Vay“ und trank auf die Güte der Getränke seines Landes. Zwar stellte sich bald heraus, dass er einen Tee aus der Ernte des Vorjahres geschlürft hatte, doch das ficht die Türken kaum an . . .

Mit „Tontons“ finalem Fortrollen ging dessen Esprit direkt auf einen anderen türkischen Politiker über und wurde damit zu einem wahren Flaschengeist: Osman Durmus heißt der Leib, in den der „Gin“ fuhr, ist Mitglied der MHP, der Partei der „Grauen Wölfe“, und bekleidet, wohl weil er studierter Mediziner ist, das Amt des Gesundheitsministers. Durmus gibt seit seinem Amtsantritt immer einen äußerst kompetenten Kleiderständer ab: Mal wollte er Jungfräulichkeitstests durchführen lassen an Krankenschwesternschülerinnen, die verdächtig sind, ein Sexualleben zu führen; mal lehnte er nach dem Erdbeben 1999 Blutspenden ab: Als umsichtiger Gesundheitsminister und türkischer Nationalist wollte er lieber kein griechisches Blut – aus rassehygienischen Gründen.

Kürzlich meldete sich Osman Durmus wieder zu Wort: Zuvor war einem Ehepaar in Istanbul ein verdächtiger Brief zugestellt worden. Ein milzbrandverdächtiger Brief! Die Polizei von Istanbul, die sich selbstverständlich in Person einiger Beamter und flankiert von Medienvertretern sofort an den Ort des Geschehens begab, sicherte den Brief in einer erbettelten Plastiktüte, legte beides auf den Bürgersteig, zog eine Absperrung drum herum und wartete; wartete auf die angeforderten Spezialisten. Als die nach vier Stunden den Weg nicht gefunden hatten, warfen die Polizisten die Tüte nebst Inhalt, der längst die meisten Istanbuler Gemüter – und vielleicht auch manchen Milzbrand – erregte, ins Auto, um das potenzielle Gefahrgut von Istanbul ins nächste Labor nach Ankara zu transportieren.

Osman Durmus nun erklärte danach, wie man mit solchen Briefen umgehen solle: Man möge sie ungeöffnet vernichten, damit der Inhalt – sei es Back-, Milzbranderregerpulver oder ein zerschreddertes Antragsformular – nicht herausrieselt. Und wer mit eventuell gefährlichen Briefen in Kontakt gekommen sei, solle nicht vergessen, sich die Hände zu waschen. Seife sei gut gegen Milzbranderreger und reiche als Gegenmittel auch vollkommen aus! Kritik an seinen Tipps ließ Durmus nicht gelten, schließlich habe die Türkei reichlich Erfahrungen mit der Seuche: Rund einhundert Fälle von Hautmilzbrand würden jährlich aktenkundig – besonders auf dem Land. Man darf gespannt sein, wann Durmus vor laufender Kamera eine mit Anthrax infizierte Kuh auf einem kräftigen Milzbrand grillt und verspeist. Zum Runterspülen empfehlen wir: Tee des Erntejahrgangs 1986.

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