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Verloren im Hauptbahnhof

■ Bremer Blinde sind verwirrt: Eine Blindentafel wird im Bahnhof aufgebaut, sie wissen aber nicht wo / Bahn AG gibt sich patzig bis desinformiert: „Die hatten ja keine Zeit“

Seit gestern steht im Bremer Hauptbahnhof eine Fühltafel für blinde und sehbehinderte Menschen. Die Tafel soll Nichtsehenden ermöglichen, den Bahnhof „taktil“ zu erforschen, um sich besser orientieren zu können. Corinna May, die berühmte Sängerin aus Bremen, hatte eine solche Tafel in Hannover ertastet und so toll gefunden, dass sie auch in Bremen eine haben wollte.

Der Haken an der Sache ist jedoch, dass die meisten blinden oder sehbehinderten BremerInnen von dieser Tafel gar nichts wissen. Und die, die's wissen, haben keine Ahnung, wo die Tafel zu finden ist. Auch Hans-Jürgen Frohns, Pressesprecher der Bahn, hatte wohl unzureichende Informationen aus Bremen erhalten. „Heute wird keine Blindentafel aufgestellt“, erklärte er gestern Abend gegenüber der taz, als die Tafel schon längst stand. Man wolle sie nächste Woche aufstellen, zusammen mit den Blindenvereinen.

„Uns hat die Bahn sehr kurzfristig über die Pläne informiert“, klagt Anette Paul vom Blinden- und Sehbehinderten-Verein in Bremen. Im Grunde finde sie die Idee mir der Tafel zwar gut, „es wäre aber sinnvoll gewesen, uns vorher zu fragen, wo sie am besten steht“. Damit sie auch gefunden wird.

„Wir haben dem Verein doch mitgeteilt, dass wir die Tafel heute aufstellen“, schimpft Peter Lessmann vom Bahnhofsmanagement, im Unterschied zu seinem Kollegen aus Hannover bestens informiert über die Bremer Vorgänge. „Die hatten ja keine Zeit“, sagt er trotzig in Richtung Blindenverein. Stimmt, denn die Information kam genau einen Tag vor der geplanten Aufstellung. „Die Leute denken wohl, wir Blinden haben alle Zeit der Welt“, beschwert sich Anette Paul. Die berufstätige Mutter von drei Kindern hätte der Bahn gerne beratend zur Seite gestanden, betont aber: „Ich kann nicht sofort springen, wenn man uns was Gutes tun will. Mittwoch morgens muss ich schlicht und ergreifend arbeiten.“

Tafel hin, Tafel her, für nichtsehende Menschen gibt es ein noch größeres Problem im neuen Bahnhof: fehlende Leitstreifen auf dem Boden der Halle. „Wir hätten lieber die Linien statt einer Tafel gehabt, wurden mit unserem Wunsch aber immer abgewimmelt“, bedauert Paul. An vielen Tram- und Bushaltestellen erleichtern die Streifen aus Rillensteinen blinden Menschen den Weg. Denn per Stock können sie die Steine und mit ihnen den richtigen Weg ertasten.

Auch vorm Hauptbahnhof gibt es ein solches System aus Linien. „Den Weg von der Haltestelle zum Eingang finde ich sehr gut mit meinem Fühlstock“, erklärt Paul. In der Bahnhofshalle selbst hört der Spaß aber auf. Denn innen fehlen die Leitlinien, die einem zum richtigen Bahnsteig führen. „Ich muss Passanten ansprechen, damit ich mich orientieren kann.“ Oft gingen die Leute aber auch einfach weiter. Durch den starken Betrieb in der Vorhalle verliere man zudem schnell die richtige Richtung.

Wenn Annette Paul dann doch an der Treppe zum Gleis ankommt, steht ihr wieder eine Tasthilfe zur Verfügung. „Am Geländer steht in Brailleschrift, ob man an Gleis fünf oder acht ist“. Auch auf dem Bahnsteig selbst hat die Deutsche Bahn AG mit Rillenplatten für Orientierung gesorgt.

Der Weg durch Halle und Gang wird jedoch weiterhin beschwerlich bleiben. Hans-Jürgen Frohns, Pressesprecher der Bahn, begründet die fehlenden Leitlinien. „Das ist nicht vorgesehen.“ Und warum nicht? „Das ist nicht vorgesehen.“ Aber es wäre doch besser für Ihre Kunden, die nicht sehen können, oder? „Das ist nicht vorgesehen.“

Melanie Haselhorst

Am Freitag wird der umgebaute Bahnhof eingeweiht. Um 10.30 startet das Eröffnungsprogramm, danach beginnt das Bahnhofsfest. Am Samstag wird von 10.00 bis 17.00 Uhr weiter gefeiert.

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