Die Stunde der Trittbrettfahrer

Weil Sat.1 seine Oetker-Fiktion so schön bewirbt, schiebt die ARD schon heute eine magere Doku davor (21.45 Uhr)

Wann feiert man am besten Jahrestage? Vor der Konkurrenz natürlich. So gesehen hat die ARD mit der Platzierung ihrer Doku zum Entführungsfall Oetker ein glückliches Händchen bewiesen. Dass sich der Tag des Verbrechens erst in gut einem Monat zum 25. Mal jährt, ist egal – immerhin kommt man so der Ausstrahlung der Sat.1-Großproduktion „Der Tanz mit dem Teufel“ zuvor, die sich ab Sonntagebenfalls am Fall Oetker abarbeitet.

Dass der aufwendig promotete Zweiteiler wie erwartet publizistischen Trubel ausgelöst hat, kommt nun wahrscheinlich der mageren NDR-Produktion zugute. Würde man sonst über eine Reportage berichten, die mit den übelsten Kniffen spekulativer Thriller arbeitet? Denn in „Die Oetker-Entführung“ wird ein unheilvoller klebriger Synthie-Teppich über ebenso unheilvoll verwackelte Bilder gelegt, die den Tathergang zeigen. Verstummt die Musik endlich mal, erläutern ergraute Ermittler in Beamten-Bajuwarisch das Verbrechen, das am 14. Dezember 1976 bei München seinen Anfang nahm. Für die ganz Doofen zeigen sie sogar mit dem Finger auf den Tatort.

Mag sein, dass der Fall Oetker im Fernsehen noch nie so minutiös aufgerollt wurde wie mit dieser Reportage, für die das Regie-Duo Walter Harrich und Danuta Harrich-Handberg über zwei Jahre recherchiert hat. Aber was nützt die Akribie, wenn sie zu keiner neuen Erkenntnis führt. Das einzige Novum stellen die ausführlichen Berichte des Entführers Dieter Zlof da – ein äußerst fragwürdiger Auftritt.

Auch der Spiegel hatte sich bereits in seiner jüngsten Ausgabe ausgiebig darüber echauffiert, was immerhin ganz amüsant ist: Schließlich flankiert das hauseigene „Spiegel TV“ die Sat.1-Fiktion mit einer eigenen Doku, die natürlich lobende Erwähnung findet. Promotionsverpflichtungen verhindern eben leider den unverstellten Blick.

Denn nicht Zlofs Mitwirken in der NDR-Doku per se ist zweifelhaft (wie der Spiegel moniert) – sondern der peinliche Umstand, dass die Filmemacher den selbstgerechten Ausführungen des Täters nichts entgegenzusetzen haben. Die Statements von Opferseite, die Richard Oetker seinen Bruder und seinen Anwalt geben ließ, müssen gegen Zlofs schräge Verklärungen verblassen.

So ist „Die Oetker-Entführung“ weder das Porträt eines Wahnsinnigen, der in der Entlarvung seine eigentliche Schuld sieht, noch die sachliche Rekonstruktion eines Verbrechens, das auch nach 25 Jahren immer noch die Gemüter erhitzt – sondern nur: Cheap Thrill. CHRISTIAN BUSS