: Begehrenswerte Subkulturen
■ Lacan meets Techno: Eine Tagung machte Bremen endgültig zum Mekka der Popkulturtheorie
„Popmusiker sind semiotische Guerillakämpfer.“ Definitionen wie die der Kulturwissenschaftlerin Susanne Binas von der (Ost–) Berliner Humboldtuniversität beschäftigten diese Woche eine Tagung im Gästehaus der Universität auf dem Teerhof.
Ihr Thema: „Popkulturtheorie zwischen Kontextualität und Subjektivität“. Veranstaltet hat sie das frisch gegründete Bremer Institut für Kulturforschung (bik). Doch Alleinorganisator Jochen Bonz ist nicht etwa Professor mit großem Budget, sondern Doktorand und Lehrbeauftragter. Die ReferentInnen waren überwiegend ebenfalls (noch) nicht etablierte WissenschaftlerInnen, die etwa 30 Zuhörenden meist Studierende. So war die Tagung trotz des offiziellen Ortes selbst noch ein bisschen Undergound - wie der Gegenstand, den sie untersucht.
Der unkonventionelle Charakter des Treffens entspricht dem geringen Stellenwert der Popkulturtheorie im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb. „Trotzdem spricht man überall von Bremen als dem Zentrum der Popkulturtheorie“, freut sich Organisator Bonz. Und das liegt nicht zuletzt an ihm, der selbst früher DJ war. Die Vortragenden waren zumeist aufgrund persönlicher Kontakte nach Bremen gekommen. Zwei Referentinnen stammten aus den neuen Bundesländern, waschechte Ossis also, schon das eher selten im gesamtdeutschen Wissenschaftsbetrieb. Doch wer aus dem Westen könnte kompetenter referieren zur „Geschichte der Jeans in der DDR“ als authentische TrägerInnen der begehrten (West–)Nietenhosen?
Einer persönlichen Begegnung im finnischen Turku entsprang die Beteiligung des Slowenen Rajko Bursic aus Ljubljana. Schon der Titel von Bursic' Referat postulierte das zentrale Paradoxon von (Pop–)Musik: „Music means nothing – therefore it can mean anything.“ Bursic ist Assistant Professor in der slowenischen Hauptstadt. Auf der Tagung fand sich neben handfester Kapitalismuskritik und der Analyse Bertelsmann-induzierter Vermarktungsstrategien von Ad-hoc-Girl-Groups wie “No Angels“ immer wieder der Geist von Jacques Lacan, dem strukturalen Psychoanalytiker aus Paris.
Während die Bremer Pop-Lacanianer wie Bonz allerdings eher das kulturelle Umfeld, die Produzenten und Konsumenten von Pop und Musik, ins Auge fassten, wollte Bursic die Musik selbst lacanianisch greifen. „Musik verweist auf das Unstrukturierte, bei Lacan Reale genannte, in dem die Traumata angesiedelt sind“, argumentierte er. Bursic vermochte nicht abschließend zu überzeugen. Phänomene wie Schlager oder Mainstream-Pop referierten gerade nicht auf die dunklen Seiten des Unbewussten, lautete der Einwand.
Spiritus Rektor der Bremer Popkulturtheorie ist einer der zwei anwesenden Lehrstuhlinhaber, Prof. Matthias Waltz. Ursprünglich Romanist und intimer Kenner der strukturalen Psychoanalyse, hat er sich seit Anfang der 90er Jahre den aktuellen Trends der Jugend- und Subkultur zugewandt. Es bleibt allerdings Waltz' Berufsgeheimnis, über subkulturelle Szenen zu räsonnieren, ohne die Musik zu hören, sich Nächte und anschließende Tage auf Love oder Reincarnation Parades um die Ohren zu schlagen oder sich gar selbst mit einem Stil zu identifizieren.
Die Begegnung zwischen Lacan und Techno ist nicht nur für die Mehrheit der etablierten WissenschaftlerInnen ungewöhnlich. Bonz: „Wenn etwa DJs aus Interesse an ihrer eigenen kulturellen Praxis ein Seminar über Popkultur besuchen, erwarten sie nicht in erster Linie eine begriffliche Unterscheidung von symbolischer und imaginärer Identifikation.“
Dafür bekamen sie eine Erklärung dessen, was Subkulturen längerfristig attraktiv, oder lacanianisch begehrenswert macht.
Thomas Gebel
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