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■ Bundeswehr im AfghanistankriegKriegsziel egal. Hauptsache dabei?

Fragen an die Parteien

Viele Abgeordnete meinen, keine Friedenspartei darf Deutschland regieren. Was heißt das wirklich? Wer darf Deutschland regieren und wer nicht? Und wer entscheidet das: die Bürger, die Wirtschaft, der Kanzler, die Nato, die Geheimdienste, die USA?

[. . .] Warum sollte man weiter wählen gehen, wenn der Frieden sowieso nicht regieren darf? Warum die Abstimmung im Bundestag über den Bundeswehreinsatz, wenn man sowieso nur Krieg führen darf? Selbst wenn alle BürgerInnen dagegen wären?

Was würde passieren, wenn – endlich mal – der Bundestag gegen einen Einsatz abstimmen würde? Und was interessiert es mich, wenn Deutschland nicht mehr so viel Macht in der Welt hat, aber mehr Geld für die Bildung statt für Waffen? Warum müssen Abgeordnete die Basis überreden und darf es nicht ein Mal – bitte – umgekehrt sein? [. . .]

Es wäre gut, wenn man zumindest die ganze Wahrheit erzählen würde, wer und was hier entscheiden darf und wer nicht.

DAVIDE BROCCHI, Düsseldorf

Deutschland wird erstmalig seit dem Zweiten Weltkrieg aktiv Krieg führen. [. . .]

Fakt ist, dass deutsche Soldaten im Ausland töten werden, legitimiert von einer Bundesregierung, die nicht zuletzt wegen ihrer Anti-Kriegs-Haltung gewählt wurde. [. . .] Jeder Befürworter des Militäreinsatzes muss wissen, dass mit einer willenlosen und profillosen Unterstützung der amerikanischen Regierung, der es in Wahrheit um weltweite Einflussnahme und um materielle Interessen geht, kein Terror zu bekämpfen ist. Man muss sich vor Augen führen, dass es hier nicht einmal um die Verteidigung von Menschenleben geht. [. . .]

Kriege werden niemals Probleme lösen, sondern diese unkalkulierbar verschärfen. In diesem konkreten Fall müssen die Ursachen der Terrorangriffe, zu denen vorrangig die Lösung des Palästinenserproblems gehört, erkannt und ihnen entgegengewirkt werden. Wer jetzt versucht, Militäreinsätze zu rechtfertigen, zeigt offen Zynismus und Menschenverachtung und stellt sich mit den Terroristen auf eine Ebene! JÖRG HÄHN, Wolfstein

Die Bundesregierung begründet ihre uneingeschränkte (!) Solidarität mit den USA nach dem 11. 9., zu der sie nun sogar die den USA aufgedrängte Entsendung deutscher Soldaten in alle Welt rechnet, mit der „großen Solidarität“ der USA zu Deutschland nach 1945.

Zum einen geht dieses moralische Argument meilenweit an der Wahrheit vorbei: Der Marshallplan, der übrigens auch allen anderen westeuropäischen Staaten zugute kam, ohne dass diese heute noch blinde Solidarität mit den USA empfinden, war keine edle Tat, sondern knallharte Realpolitik: Noch 1944 sollte nach dem Morgenthau-Plan Deutschland zerschlagen und zum abhängigen Agrarstaat gemacht werden, um nie wieder kriegsfähig zu werden. Dann jedoch, im beginnenden Kalten Krieg, brauchten die USA Bollwerke gegen den „bösen“ Kommunismus, daher der Schwenk zu Aufrüstung (Nato) und Wiederaufbau. Außerdem benötigten die USA einen Absatzmarkt für ihre Farmer, weshalb Marshallkredite häufig mit der Abnahme von US-Agrarprodukten verbunden war. [. . .] Nicht Deutschenliebe, sondern bloßes Eigeninteresse bestimmten also die US-„Solidarität“.

Zum anderen kann die damalige „Solidarität“ nicht ewig in Anspruch genommen werden und für alles Mögliche als Begründung herhalten – genausowenig wie der ständige Rückgriff auf das NS-Regime und Auschwitz, mit dem diese Regierung schon ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Exjugoslawien 1999 begründet hat.

Der Krieg gegen Afghanistan müsste aus sich heraus begründbar sein, und das ist er offensichtlich nicht, sonst würde nicht zu 50 Jahre alten, abstrusen Hilfsargumenten gegriffen, die Deutschland als kadavergehorsamen US-Vasallen erscheinen lassen.

MICHAEL KRAUS, Würburg

betr.: „Im Krieg gibt es Regeln“, Interview mit Michael Bothe, taz vom 8. 11. 01

Das Kriegsziel ist egal! Die Hauptsache ist, wir sind dabei! Ging es anfangs noch um die Ergreifung Bin Ladens und die Zerstörung seines terroristischen Netzwerks, geht es nun um die Beseitigung des Taliban-Regimes in Afghanistan.

Die Rechtmäßigkeit eines derartigen Vorhabens ist vor dem Hintergrund des Völkerrechts jedoch umstritten: Spricht man den US-Amerikanern ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen den global operierenden Terrorismus zu, wird man polizeiliche Aktionen und wohl auch zielgenaue militärische Kommandounternehmen zur Ergreifung der Terroristen und Zerstörung ihrer Infrastruktur billigen müssen. Der Sturz des Taliban-Regimes ist indes ungeeignet den von Afghanistan aus operierenden Terrorismus zu eliminieren. Prof. Bothe weist zu Recht darauf hin, dass sich die Situation für Bin Laden wohl kaum verschlechtern würde, wenn die Nordallianz mit US-Hilfe die Macht in Kabul übernimmt und es dann zu einem neuen, langen Bürgerkrieg mit der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit käme. Doch selbst wenn man unterstellt, der Krieg in Afghanistan sei auf Dauer geeignet, den Terror erfolgreich zu bekämpfen, ist eine solche Maßnahme aufgrund der Vielzahl von zivilen Opfern unter der Bevölkerung Afghanistans unverhältnismäßig.

Folgt man dem hier Gesagten, ist das Vorgehen in Afghanistan unter dem Gesichtspunkt individueller und kollektiver Selbstverteidigung nicht gerechtfertigt. Es handelt sich beim Afghanistanfeldzug somit um eine völkerrechtswidrige bewaffnete Aggression, deren Vorbereitung in § 80 StGB unter Strafe gestellt wird.

Sind des Kanzlers Kriegsgelüste möglicherweise nicht nur politisch töricht und ethisch indiskutabel, sondern auch strafrechtlich relevant? CHRISTIAN LÜDORF, Berlin

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