: Alles nur eine schöne Welt
■ Ohne sachdienliche Hinweise: „Intime Töne“ im Sendesaal
Der arme Komponist hat ein Problem. Weiß nicht, wohin mit seiner Liebe Überschwang. Die Geliebte weilt an einem fernen Ort. Zwischen ihnen liegt große Entfernung, Standesunterschied oder schlicht der Fakt, dass sie blöderweise nun so gar nichts von ihm wissen will. Was bleibt ihm, als eifrig Noten aufs Papier zu kritzeln - Kultur bietet ja prima Sublimierungsmöglichkeiten. Und Musik mag als die kunstfertigste gelten, so ganz ohne Wort und Bild.
Doch so einfach ist es nicht. Nur bedingt „Intime Töne“ bot ein Abend des Solo-Ensembles der Deutschen Kammerphilharmonie. Streichquartette von Beethoven und Janacek, sowie ein Flöten-Stück von Heinz Holliger sollten zeigen, wie man Musik lesen kann.
Das Quartett agierte kompakt, ließ in den schnelleren und lauteren Passagen wie im Presto von Beethovens Es-Dur-Quartett oder im abschließenden Allegro von Janaceks 2. Streichquartett aber genug Raum für beeindruckende Verve. Heiter-elegante Pizzicati mit dramatischem Abschluss bei Beethoven; eigenwillige Rhythmik im Wechsel mit melancholischen Adagio-Klängen bei Janacek. Es entstanden Klangbilder, die einen Eindruck der dahinter stehenden Gefühlswelt der Komponisten ahnen ließen.
„Du stehst hinter jeder Note – lebendig und leidenschaftlich“, versicherte der tschechische Komponist, der das „Intime Briefe“ betitelte Werk als Geschichte seiner Liebe zur entfernten Geliebten Kamila Stösslova verstanden wissen wollte. Sie war 38 Jahre jünger als er und, wie er selbst auch, verheiratet. Die Mittdreißigerin scheint nicht eben erfreut gewesen zu sein. Nicht zuletzt vielleicht deshalb, weil sie mit Musik nichts am Hut hatte. Und auch der über siebzigjährige Janacek schrieb: „Es ist ja alles zwischen uns nur eine schöne Welt – alles, alles nur ersonnen“. Trotzdem bleibt's Musik, da kann der Musikus - hier oder beim Schreiben des Liederzyklus „Tagebuch eines Verschollenen“ - noch so oft versichern „immer an Dich gedacht“ zu haben.
Und auch Beethoven, dessen dreiteiliger „Brief an die unsterbliche Geliebte“ zu Beginn verlesen wurde, mag bei der Formulierung „... und nun zum Innersten im Äußeren“ nicht automatisch auf die Beziehung zwischen sich, seiner (uns unbekannten) Angebeteten und dieser Komposition gemünzt haben. Genau das aber schien Luise Scherfs blasse Rezitation von Briefen aus der Musikantenfeder nahezulegen.
Das wirkte wie die Lesung aus einem etwas müde zusammengehauenen Programmheft. Bisweilen blieb der Versuch, Leben und Werk zusammenzudenken in einem allzu platten Biografismus stecken. Früher einmal nannte man solches bildungsbürgerlich. Und so nimmt es kaum Wunder, dass der überzeugendste Part des Abends dem verhalten-spröden und doch wunderschönen „t(air)e“ Holligers vorbehalten blieb, einem kurzen Flötensolostück, das ein Zentrum seines zwischen 1975 und 1991 entstandenen, „Scardanelli-Zyklus“ bildet. „Flöte: Hölderlins Instrument“, schrieb der Schweizer, der sich in diesem großangelegten Werk dem späten Hölderlin nähert. „Taire“ bedeutet Schweigen, auch verschweigen. Souverän lotete Angela Firkins die brüchige Klangwelt des Stückes aus, das man auf Hölderlins Texte eben nicht unmittelbar, sondern nur auf gedanklichem Umwege beziehen kann.
Weniger Betulichkeit hätten dann auch die beiden blitzsauber vorgetragenen Quartettenverdient.
Tim Schomacker
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