: Rein oder nicht rein
■ Bremen könnte dem Zuwanderungsgesetz zustimmen, wenn Schily der CDU ein großes Stück entgegenkommt
Bremen und Brandenburg könnten das Zuwanderungsgesetz von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Bundesrat retten. Bremens Innensenator Kuno Böse (CDU) erklärt im Gespräch mit der taz, zu welchen Bedingungen.
taz: Laut Spiegel haben Sie und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm angedeutet, mit Ihren großen Koalitionen Schilys Zuwanderungsgesetz zur Bundesratsmehrheit verhelfen zu wollen.
Kuno Böse: Das hat der Spiegel daraus geschlussfolgert. Ich habe lediglich gesagt, wir müssen uns die Entscheidung offen halten, wenn ein nationaler Konsens möglich ist und das tatsächlich eine Verbesserung der bisherigen Regelungen bringt. Vom Bundesrat war keine Rede. Aber natürlich sind die großen Koalitionen in einer anderen Situation als unionsregierte Länder wie Bayern oder Hessen. Aber Laurenz Meyer hat klipp und klar gesagt: Die CDU wird das Gesetz nicht mittragen. Hat er sich schon dafür bedankt, dass Sie so quer schießen?
Ich glaube nicht, dass wir quer schießen. So etwas kann man doch in der Partei nicht von oben herab diktieren. Ich möchte eine ehrliche Diskussion. Wenn Schily das Gesetz nicht ändert, machen wir nicht mit, und es kommt nicht durch.
Aber wenn Sie sich mit Schily einigen, steht Meyer ohne Wahlkampfthema da.
Genau das wollte ich verhindern, dass dieses Thema zu einem Wahlkampfthema wird, weil im Wahlkampf mehr das Gefühl als der Kopf im Vordergrund steht. Ich meine, die CDU-Führung ist nicht gut beraten, wenn sie die Zuwanderungsdebatte hochzieht.
Was sind denn für Sie die wichtigsten positiven Neuerungen in Schilys Konzept?
Zum ersten Mal würde die Integration gesetzlich geregelt. Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. In Berlin hatte ich meinen Wahlkreis in Kreuzberg. Da kann man deutlicher als irgendwo sonst den Prozess fortlaufender Desintegration beobachten. Das ist eine tickende Zeitbombe. Mit gesetzlich festgeschriebenen Integrationspflichten könnte man hier gegen- steuern. Ein großer Fortschritt wäre zudem die Vereinfachung beim Aufenthaltsstatus. Ein dritter positiver Ansatz ist die Regionalisierung: Wenn Länder zwischen 20 und fünf Prozent Arbeitslose haben, ist der Zuwanderungsbedarf folglich sehr unterschiedlich. Schily trägt dem Rechnung.
Warum können sie dennoch nicht zustimmen?
Über dem Gesetz steht „Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“, und ich glaube, gerade diesem Anspruch wird es in vielen Punkten nicht gerecht. Es gibt zwei große Unterschiede zwischen der CDU und Schily: Wir meinen, dass es keinen weiteren Zuzug von Ausländern geben darf, weil die Integrationskraft erschöpft ist. In bestimmten Feldern können wir dann trotzdem welche holen – im Interesse des Landes. Schily dagegen sagt: Wir müssen Zuzug ermöglichen, aber diesen Zuzug begrenzen und steuern. Das ist ein anderer methodischer Ansatz. Während wir regeln wollen, wie man nicht rein kommt, regelt er, wie man rein kommt.
Sie haben von „Kröten“ in Schilys Plänen gesprochen... Welche können Sie auf keinen Fall schlucken?
Beispiel Arbeitsmigration: Hier sollen die Arbeitsämter entscheiden, ohne Mitspracherecht der Innenminister. Da können Länder sich etwa Pflegekräfte im großen Stil holen. Nach drei Jahren haben die Leute Niederlassungsrecht, können ihre Familien nachholen und den Job wechseln. Dann muss man die nächsten holen. Wo ist hier Begrenzung? Das sehe ich nicht. Beim Familiennachzug bin ich auch nicht einverstanden. Schily wollte das Höchstalter von 18 auf zwölf Jahre herabsetzen, hat sich mit den Grünen auf 14 Jahre geeinigt. Wir wollten acht bis zehn Jahre festschreiben, weil es mit der Integration danach schwierig wird. Dagegen baut Schily beim Niederlassungsrecht für Hochqualifizierte, also dem Ersatz für die Green-card, Hürden auf, die in keinem Verhältnis zu den saloppen übrigen Regelungen stehen, beispielsweise bei der Zuwanderung nach dem Asylverfahrensgesetz und aus humanitären Gründen. Dann hat Schily in vielen Fällen Verordnungen des Bundesinnenministeriums vorgesehen. Diese Regelungen müssen aber durch den Bundesrat, weil die Länder nachher auch die Suppe auslöffeln müssen.
Was ist mit der Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge?
Da wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Einerseits weiß ich: Wenn diese Menschen sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, dann liegen sie nicht der Sozialkasse auf der Tasche, was man ihnen ja sonst vorwirft. Auf der anderen Seite: Wenn sie hier arbeiten, auch wenn sie im Prinzip ausreisepflichtig sind, kommen nachher alle an und sagen: Aber kucke mal, er arbeitet doch. Lasst ihn doch hier. Wir müssen nach arbeitsmarktpolitischen und regionalen Gesichtspunkten differenzieren.
Ein Streitpunkt ist die Verteilung der Kosten für die Integrationskurse. Reicht Schilys Angebot über 148 Millionen Mark aus?
Nein, sicherlich nicht. Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck schätzt die Gesamtkosten weitaus höher als Schily. Wir sollten eine hälftige Kostenteilung zwischen Bund und Ländern anstreben.
Ist der Abschiebeschutz für Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung für Sie akzeptabel?
Das ist sehr problematisch. Verzeihen Sie das Beispiel: Die Genitalverstümmelung. Bei Anerkennung der fürchterlichen Problematik, davon sind Millionen Frauen betroffen. Was ist, wenn die nach Deutschland kommen? Wie regeln wir das? Das ist nicht ausgereift.
Das CDU-Einwanderungskonzept, das der saarländische Ministerpräsident Peter Müller federführend entworfen hat, sieht hier nicht nur Abschiebeschutz, sondern sogar neue Asylgründe vor.
Sie fragen ja mich als Praktiker. In einer Volkspartei müssen nicht alle einer Meinung sein. Wäre ich in der Kommission gewesen, hätte ich auf die Probleme hingewiesen.
Wenn Schily Ihnen weit genug entgegenkommt, können Sie dann überhaupt „nein“ sagen? Sie hätten Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmerschaft und die übrigen demokratischen Parteien gegen sich.
Aber die Bürger für uns. 85 Prozent der Bürger lehnen Zuwanderung in der gegenwärtigen Form ab. Ich orientiere mich als ein Gewählter am Willen der Bürger und nicht am dem von Verbänden.
Unternehmerverbände warnen die CDU fast täglich vor einer Blockade, weil das ein Jahr Zeitverlust bedeuten würde.
Natürlich nehme ich die Argumente der Wirtschaft ernst. Aber die Wirtschaft muss auch ein bisschen mittel- und langfristig denken. Das haben wir doch alles schon hinter uns: Als in den achtziger Jahren keine ausländischen Arbeitskräfte mehr gebraucht wurden, hat die Wirtschaft gesagt: Politik, löst das mal! So geht es auch nicht. Fragen: Jan Kahlcke
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