: Die neue Macht im Amt
■ Am 1. Dezember geht's los: Sozialhilfeempfänger, die arbeiten können, werden „aktiviert“ / Unabhängige Beratungsstellen bekommen amtlich zugewiesene „Kontrollfunktion“
Ein bisschen schien es, als wollten sie die Reihen noch einmal schließen, bevor der Sturm losbricht. Als am Mittwoch rund 150 AkteurInnen der Sozialverwaltung, der Beschäftigungsträger und unabhängiger Beratungsstellen zu einer Tagung zusammengekommen waren, bilanzierten sie verblüfft, wie ähnlich man die Dinge sehe. In der Theorie. Die Praxis beginnt handfest am ersten Dezember. Dann nämlich nehmen die ersten 30 so genannten „aktivierenden Fallmanager“ ihre Arbeit auf. Und dann könnte der Sturm beginnen.
Denn dann wird spürbar, was der oft zitierte Paradigmenwechsel in der Bremer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für die Menschen bedeutet. „Fördern und Fordern“ lautet das Schlagwort. Für arbeitslose Sozialhilfeempfänger – Menschen also, die offiziell arbeiten könnten – heißt das, dass sie statt zu ihrem Sachbearbeiter künftig noch vor der Gewährung von Sozialhilfe zu ihrem Fallmanager gehen. Er soll ihnen ein Angebot auf den Leib schneidern – am liebsten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wenn das nicht geht, bei einem Beschäftigungsträger, deren Angebote die neue Bremer Arbeit GmbH (bag) bündelt und auswählt. Die Vermittlung eines Kinderbetreuungsplatzes für die Mutter zählt auch zu den Aufgaben des Fallmanagers, aber auch die der „Zahnsanierung, damit man beim Vorstellungsgespräch lächeln kann“, so Eckhard Lange vom Amt für soziale Diens-te. Will der zu Aktivierende partout passiv bleiben, droht Strafe.
127 Fälle verwaltet ein Sachbearbeiter des Sozialamts im Durchschnitt. Die Fallmanager sollen künftig nur noch für jeweils die Hälfte der Fälle zuständig sein, dafür aber umso intensiver – „aktivierend“ eben. Und weil damit in ihrer Wirkung eher eingeschränkte Rädchen im Getriebe der großen Sozialverwaltung sehr viel mehr Macht bekommt, sei die Rolle der unabhängigen Beratungsstellen noch viel wichtiger als zuvor – da waren sich alle Beteiligten einig.
Eine „Kontrollfunktion“ sollten sie ausüben, erklärt Rolf Sommer vom Arbeits- und Sozialressort, Bericht erstatten darüber, wie es so klappt mit dem neuen Fallmanagement. Von Amtsseite werde es „ganz großen Druck“ geben, befürchtet Ursula Stielike von der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger (Agab). Druck, die Menschen irgendwie unterzubringen. „Leute, die mit den Ämtern Konflikte haben, kommen zu uns“, sagt Stielike, schon jetzt seien die Beratungsräume „gerappelt voll“.
Das Problem, und da werden die unterschiedlichen Rollen von unabhängigen BeraterInnen und Verwaltungsmenschen deutlich: „Unser Ziel ist nicht unbedingt die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt,“, so Agab-Frau Stielike, „sondern die Integration in die Gesellschaft.“ Im Prinzip sieht die andere Seite das genauso: Dass die Zeiten der Vollbeschäftigung passé sind, ist Konsens. Und wenn aus dem „großen Ziel“, Menschen in Arbeit zu bekommen, werde: „Hauptsache, wir entlasten den Sozialhilfeetat“ – dann sei das „nicht im Sinne der Erfinder“, so bag-Geschäftsführerin Katja Barloschky. Aber auch sie nennt als möglichen Konfliktstoff an erster Stelle die „Qualität der Fallmanager“.
Die zu begutachten, wird die neue alte Aufgabe der Beratungsstellen. „Seismographen“ der neuen Entwicklung seien sie, so Berndt Korten vom Arbeitslosenprogramm der Bremischen Evangelischen Kirche. Bedingung dieser vom Ressort zugewiesenen Aufgabe ist die finanzielle Absicherung. Auch da waren sich alle einig. Im Dezember berät die Arbeitsdeputation das Thema.
Fast schien es, als schwinge in der zur Schau gestellten Einigkeit auch ein bisschen Sorge mit. Denn, so brachte Berndt Korten ein wohl anstehendes Problem auf den Punkt: „Der Fallmanager hat die Macht.“
Susanne Gieffers
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