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themenläden und andere clubsUnheimliche Begegnungen im ProminentenstadlAuf Du und Du mit Bin

Wenn man nach Wochen kontemplativen Seins wieder hinaus ins Leben geht, sieht man deutlich die Veränderungen in unserer Stadt. In Kreuzberg hat sich ja einiges getan, das Mysliwska in der Schlesischen Straße hat unter neuem Kollektiv wieder geöffnet, die Bäckerei in der Markthalle wegen fehlender Kundschaft geschlossen, und bei Karstadt ist der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Auch die Torstraße in Mitte erkennt man kaum wieder. Die Russendisko an sich ist uns ja inzwischen durch Wort, Bild und Ton zur Genüge bekannt. Aber plötzlich das: kyrillische Kulturkaufhäuser, russische Spezialitätenläden, eine geheimnisvolle Bar und der „Club der polnischen Versager“, wo man durch die Scheibe spähen konnte und junge, missmutige Leute sah, die in grisselige Fernsehbildschirme starrten! Eine Russenmeile mitten in Mitte! Ein Bewusstseinsschock jagte den nächsten, zum Glück schien im Kaffee Burger alles wie immer. Das zweijährige Bestehen wurde gefeiert, und Klaus Beyer zeigte seine Filme.

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“, dachte ich noch, glücklich, der Überfremdung entkommen zu sein, als am Tresen plötzlich so mir nichts, dir nichts der Umweltminister stand, ganz zivil und ohne Bodyguards. Oder war seine Begleitung, eine etwa zwei Meter große amerikanisch sprechende Frau, vielleicht die Bodyguardistin? Außerdem, warum war der Minister nicht auf dieser Umweltkonferenz, auf der gerade ein völlig verwässertes Kioto-Protokoll verabschiedet wurde, wie kurz vor Klaus Beyer die „Tagesthemen“ berichtet hatten? Wahrscheinlich war es so: Die Konferenz, im Laufe welcher der Minister eine aufgeschlossene amerikanische Grüne kennen gelernt hatte, ging zu Ende. Spontan lädt er sie zur deutschen Flugbereitschaft ein: „Come with me, I show you the old east“, und läuft mit ihr im Kaffee Burger auf, wo aber ausgerechnet Klaus Beyer from the very old west auftrat. Da aber, wie wir wissen, die meisten Amerikaner den Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland noch nie kapierten, fiel dem Gast aus Übersee nichts auf.

Klaus Beyer sang seine Neuübersetzung des Beatles-Albums „Rubbersoul“ (also „Gummiseele“) und eigene Stücke: „Gib mir Geld, ich brauch’ Geld“ – vielleicht ein heilsamer und unverstellter Blick auf die Sorgen der normalen Bevölkerung für den Minister. Zum Glück war ich auf Prominente bereits eingestellt, hatte ich doch letzte Woche in der Tankstelle an der Schlesischen Straße Jeanette Biedermann, Sängerin und quirliger Star von GZSZ, getroffen. Sie benahm sich so auffällig unauffällig wie nur echte Stars es tun. Jeansschlapphut tief ins Gesicht gezogen, Sonnenbrille auf und mit ihrer unnachahmlichen Stimme quengelnd: „Ich muß unbedingt auf Toilette, bitte ganz schnell“, und dazu teeniehaft von einem Bein aufs andere hüpfend. Die aufregendste Begegnung mit der Prominenz fand dann doch nicht statt. Eine befreundete Künstlerin, deren Englisch allerdings aufgrund einer starken Färbung für mich kaum zu verstehen ist, hatte mich in der U-Bahn zu einem Konzert eingeladen: Come to my concert in the Roter Salon, Bin Laden will be there!! Ich vermutete ein phonetisches Problem aber sie sagte ganz deutlich: „Yes, yes, Bin Laden will come. He is on the guest list. „Zu Hause zergrübelte ich mir den Kopf: Bin Laden im Roten Salon? Auf der Gästeliste. Ist das theoretisch möglich? Mit einer Freundin ging ich telefonisch alle Möglichkeiten durch. Also nehmen wir an, Bin ist gar nicht in Afghanistan, sondern hat sich in Kreuzberg bei einem befreundeten Schläfer versteckt und die Videokonferenzen wurden im märkischen Sand aufgenommen. Unwahrscheinlich, aber nicht ganz unmöglich. Aber wie sollte die Verbindung von Kreuzberger Schläfern zur Elektroszene im Roten Salon zu Stande kommen? Niemals, beruhigten wir uns.

CHRISTIANE RÖSINGER

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