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In Kabul kehrt Normalität ein

Die Bewohner der afghanischen Hauptstadt verlieren die Angst, aber nicht ihre Skepsis

KABUL rtr ■ Lange geschlossene Rollläden vor den Schaufenstern rattern nach oben, mutige Frauen entledigen sich der Burka, und es gibt sogar die ersten Verkehrsstaus. Die Normalität kehrt nach Kabul zurück. Nach über fünfwöchigem Bombardement durch US-Flugzeuge erwacht die Stadt erstmals wieder ohne Angst. „Alles ist anders heute, es hat sich zu 100 Prozent verändert“, sagt der 35-jährige Reifenverkäufer Sarfraz Hostai. „Wir hatten früher so viele Probleme. Aber jetzt sind wir frei und warten auf unsere neue Regierung.“

Soldaten der Nordallianz haben in der Stadt Stützpunkte errichtet. Über ihren Schultern hängen Kalaschnikows. Die Soldaten haben die wenigen Autofahrer angehalten, die sich nachts auf die verlassenen Straßen wagten, und im Morgengrauen haben sie mit Patrouillen begonnen. Sie suchen nach Überresten der Taliban. Kabuls Einwohner sehen den Einmarsch der Nordallianz mit zwiespältigen Gefühlen: Nervosität wegen des schwindelerregend schnellen Wechsels der Regierung. Und Begeisterung über die neu gewonnenen Freiheiten. Die Geschäfte sind geöffnet, Händler verkaufen alles von Zigaretten und Kleidern bis zu Tomaten, Zwiebeln und Gewürzen. Aber mit bewaffneten Soldaten an den Straßenecken ist es schwer, sich zu entspannen.

Ein Stau verstopft den De-Afghanan-Kreisverkehr. Taxis hupen, Radfahrer klingeln. An fast jeder Ecke sind Truppen der Nordallianz stationiert. „Wir sind gekommen, um der Stadt Sicherheit zu bringen. Wir haben keine Probleme gehabt, und alle Menschen haben uns willkommen geheißen“, sagt ein Militärpolizist. Reifenverkäufer Hostai begrüßt den Vorstoß der Nordallianz, obwohl er zur größten Volksgruppe der Paschtunen gehört, die der aus Tadschiken, Usbeken und Schiiten bestehenden Nordallianz misstrauen. „Die Menschen wollen, dass die Nordallianz eine gute Regierung schafft, die von allen ethnischen Gruppen anerkannt wird.“

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