: Entbindung in der Badewanne
Im Geburtshaus Charlottenburg haben mittlerweile 3.000 Kinder das Licht der Welt entdeckt. Die Hebammen arbeiten dort seit 15 Jahren ohne Ärzte. Statt Schmerzmitteln gibt es für die Schwangeren ein warmes Vollbad. Das Verhältnis zu den umliegenden Krankenhäusern war nicht immer leicht
von MECHTHILD BRUNS
„Das ist ja wie Kino“, sagt Andreas. Er rast durch das nächtliche Berlin zum Geburtshaus Charlottenburg. Seine Freundin Marina hat schon kräftige Wehen. Angekommen dauert es keine zehn Minuten, und das Kind ist da. Ein Mädchen, Helena. Eltern und Kind ruhen sich in dem großen Bett aus. Nach ein paar Stunden gehen wieder sie nach Hause.
Das war im September. Nur einige Wochen nach Helena kam im Geburtshaus am Charlottenburger Klausener Platz ein Jubiläumskind zur Welt: der 3.000ste Säugling heißt Philipp. Heute feiern die Charlottenburger Hebammen deshalb am Wittenbergplatz ab 10 Uhr ein Fest.
„In der Anfangszeit waren die Räume viel kleiner, da mussten wir an eine Kinderarztpraxis untervermieten, um die Miete bezahlen zu können,“ erzählt Marion Ebeling. Die Hebamme arbeitet seit 11 Jahren im Geburtshaus. Mittlerweile gibt es zwei Entbindungszimmer, Gruppenräume und ein Badezimmer mit einer Geburtswanne.
Vor 15 Jahren im Februar entstand das Geburtshaus aus einer Initiative von Hebammen, ÄrztInnen und Eltern. Sie alle waren höchst unzufrieden mit der Geburtsmedizin in den Krankenhäusern. Entbindungen wurden mit viel Medizin und Technik durchgeführt, und die Frauen hatten wenig Möglichkeiten einzugreifen. Anschließend lagen sie oft tagelang auf der Station und bekamen ihr Kind gerade mal für das Stillen zu sehen.
Nach dem Vorbild der „Birth Center“ in den USA gründete die Initiative das erste Geburtshaus in Deutschland. Nach einigem Suchen fiel die Wahl auf die Wohnung am Klausener Platz, auch wegen ihrer Nähe zum Krankenhaus Pulsstraße. Doch anfangs war die Zusammenarbeit mit der Klinik kompliziert: „Wenn wir uns dort mit einem Notfallkaiserschnitt anmeldeten, empfing uns das Personal mit den Worten: ‚Ihr kriegt’s wohl nicht hin‘“, erinnert sich Ebeling. Heute sei das Verhältnis viel entspannter. „Der Erfolg hat uns Recht gegeben“, freut sie sich. Tatsächlich haben die Krankenhäuser inzwischen vieles von den Geburtshäusern abgeschaut. Die Kreissäle sind freundlicher gestaltet, die Säuglinge können den ganzen Tag bei der Mutter bleiben.
Die Charlottenburger Hebammen sehen sich heute nicht mehr in Konkurrenz zu den Krankenhäusern. Sie wissen um ihre Grenzen und verlegen die Frauen sofort, wenn es Mutter oder Kind nicht gut geht oder sich Komplikationen abzeichnen. Frauen mit einer so genannten Risikoschwangerschaft, etwa weil sie Zwillinge erwarten oder unter einer akuten Infektion leiden, dürften deshalb nicht im Geburtshaus entbinden, erklärt Ebeling. Dabei sei eine Risikoschwangerschaft allerdings nicht so eng gefasst wie bei einigen Gynäkologen. Dort falle jede Frau ab 35 darunter.
Alle Hebammen im Geburtshaus haben Krankenhauserfahrung. Die Routine sei wichtig, erklärt auch Elvira Schüssler, eine andere Hebamme vom Klausener Platz. Ihr Konzept unterscheide sich von den Krankenhäusern vor allem dadurch, dass die Frauen bestimmen, wie die Geburt verläuft. Die Hebammen sehen ihre Aufgabe darin, die Frauen dabei zu unterstützen. Es gibt keine weheneinleitenden Mittel oder Rückenmarkspritzen. Manchmal helfen die Hebammen mit homöopathischen Mitteln und Akupunktur, meistens reicht aber einfach ein warmes Vollbad gegen die Schmerzen.
Jeden Montag bietet das Geburtshaus einen Infoabend an. Ein junges Paar erzählt, es sei hergekommen, weil es in seinem Freundeskreis nur eine Frau gebe, die sich an ihre Geburt als ein schönes Erlebnis erinnere, und die habe im Geburtshaus entbunden. Alle Freundinnen, die im Krankenhaus entbunden hätten, seien mit dem Geburtsverlauf unzufrieden gewesen. Fast alle hätten den obligatorischen Dammschnitt bekommen. In Kliniken liegt die Quote dieses schmerzhaften Eingriffes bei 48 Prozent. „Das liegt daran, dass dort immer noch die meisten Frauen liegend gebären“, erklärt Marion Ebeling. Wenn sich die Frauen die Gebärposition aussuchen können, wählen sie selten eine Rückenlage. Mit der Folge, dass die Dammschnittquote im Geburtshaus bei etwa 3 Prozent liegt und generell weniger Geburtsverletzungen auftreten.
Etwas Sorgen macht sich das junge Paar aber doch. Es kann sich nicht die Hebamme aussuchen, die die Geburt begleitet. Die Charlottenburger Hebammen teilen Bereitschaften so auf, dass sie immer ausgeruht zur Geburt kommen. Deshalb wissen die Schwangeren nie, welche Hebamme zur Entbindung kommt. Damit sie alle Geburtshelferinnen kennenlernen, wechseln die sich bei der Vorsorgeuntersuchung ab. Dabei tasten und messen sie den Bauch, so wie es früher gemacht wurde – mit dem Hörrohr. Ein Ultraschallgerät gibt es nicht.
Wenn die Frauen dann mit Wehen ins Geburtshaus kommen, dauert es oft noch eine Weile, bis das Kind da ist. Dennoch seien die Kinder meist ziemlich fix, erklärt Elvira Schüssler auf dem Infoabend. Geburten, die 20 Stunden oder länger dauern, seien selten. Auch nach Jahren im Geburtshaus wundert sich Schüssler noch, dass der Geburtsraum jedes Mal anders aussieht. „Manchmal ist er voller Leute, manche Frauen bauen sich einen richtigen Altar mit ihren Lieblingsdingen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen