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Beim Barte des Prinzen aus Peschawar

Was nach einem Dschihad übrig bleibt: Eine Ausstellung in Barcelona dokumentiert 5.000 Jahre Kunst in Afghanistan. Die Sammlung historischer, aus ganz Europa zusammengetragener Schätze zeigt auch, wie sehr sich Kulturen und Religionen in dem Land über die Jahrhunderte vermischt haben

von MICHAEL BRIEFS und MARK SCHONNOP

Als Georg W. Bush den Schlag gegen den internationalen Terrorismus als ersten Krieg des 21. Jahrhunderts bezeichnete, dürfte er kaum an die illusionslose Prophezeiung des 1976 verstorbenen André Malraux gedacht haben. Der französische Literat und Archäologe, ehemaliger Kommunist und später Kulturminister unter de Gaulle, sah zu einer Zeit, als in ganz Westeuropa nicht nur die Jugend von der sozialistischen und atheistischen Gesellschaft träumte, ganz andere Geister am Horizont aufziehen: „Le XXIe siècle sera religieux ou ne sera pas.“

Dieses Wort, wonach das 21. Jahrhundert, wenn es trotz atomarer Bedrohung überhaupt stattfinden sollte, nur religiös sein könne, scheint sich eher zu bewahrheiten, als es Samuel P. Huntington in seinem Kampf der Kulturen in düsteren Farben ausgemalt hat. Um gegen dieses Abgleiten in ein reines Freund-Feind-Schema ein Zeichen zu setzen, hat der Direktor des katalanischen Kulturzentrums La Caixa in Barcelona, Luis Monreal, ein ungewöhnliches Ausstellungsprojekt angeregt. Anstoß war der Befehl des obersten Taliban, Mullah Mohammad Omar, zur Zerstörung der riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan in Zentralafghanistan in diesem Frühjahr. Innerhalb der extrem kurzen Zeit von sechs Monaten konnte durch ein Joint Venture internationaler Museen und Privatpersonen das versammelt werden, was an afghanischer Kunst außerhalb Afghanistans aufbewahrt wurde. Der absolut positiven Reaktion aller Museen ist es zu verdanken, dass es die weltweit bedeutendste Schau afghanischer Kunst seit über vierzig Jahren geworden ist.

Mit der Ausstellung, die ohne Zutun der Taliban organisiert wurde, wird der Besucher mit dem historischen Hintergrund Afghanistans vertraut gemacht. 230 Stücke, unter anderem aus dem Museum für Indische Kunst in Berlin und der Eremitage Sankt Petersburg, werden bis zum 23. Dezember gezeigt. Dabei werden nicht nur die unbekannte prähistorische und die in ihrer Bedeutung unterschätzte buddhistische Gandhara-Kunst dieses Landes vorgestellt. Der Besucher wird direkt am Anfang mit der afghanischen Realität konfrontiert. Fotos dokumentieren das Leben unter Königen, Kommunisten und Gotteskriegern.

Am 11. März 2001, genau ein halbes Jahr vor der Katastrophe von New York und Washington, verhüllte eine riesige Feuer- und Staubwolke die gesprengten Überreste der Buddhas. „Dieser dunkle Schatten kündigte den schwarzen Dienstag von New York an“, so Pierre Cambon vom Pariser Musée Guimet – National des Arts Asiatiques und zugleich Kurator der Ausstellung von Barcelona, „wo man Bücher verbrennt, da werden auch Menschen verbrannt, und wo man die Relikte der eigenen Vergangenheit mit Dynamit austilgt, steht es auch nicht besser.“

Dieses traumatische Erlebnis ließ die Ausstellungsmacher nicht los. Im ersten Ausstellungsraum werden in einer Endlosschleife dem Betrachter die entscheidenden drei Minuten per Video immer wieder vor Augen geführt. Verwackelte Bilder, die aus großer Entfernung eine Felswand zeigen mit den im Westen erst posthum berühmt gewordenen Buddhas. Dann ein Feuerball, Stimmen im Hintergrund. Diese befremden nicht nur wegen ihrer Sprache. Sie wirken auf den Zuschauer wie ein frenetischer Jubel. Es sind schockierende Bilder, die mit dem in Manhattan Gesehenen verschwimmen. Das kann viel besser als alle Worte den Schrecken wiedergeben, der diesem Terror anhaftet. Trotzdem will Cambon vor allem ein differenzierteres Islambild vermitteln: „Vor dem Hintergrund von Bürgerkrieg und rigorosem Fundamentalismus in einem ruinierten Land möchte ich an die glanzvollen und auch ausstrahlenden Epochen islamischer Herrschaft erinnern. Unter den Timuriden etwa, die dort im 14. und 15. Jahrhundert gelebt haben, galt Afghanistan als ein Land, das Künstler und Gelehrte gleichermaßen anzog.“

Dafür spricht auch der programmatische Titel der Ausstellung „Afghanistan, eine Geschichte von Jahrtausenden“ hat sich zum Ziel gesetzt zu zeigen, was 5.000 Jahre verschiedenster Kulturen in Afghanistan an Zeugnissen hervorgebracht haben. In diesem Brückenland zwischen Indien und Zentralasien, zwischen Iran und China überlagerten sich immer wieder unterschiedliche Einflüsse und verschmolzen zu etwas Neuem. Eine Zeit der intensiven Ost-West-Begegnung schloss sich an die Eroberung des Landes durch Alexander den Großen um 330 vor Christi an. Der Einfluss griechischer Kultur blieb über Jahrhunderte bestehen, bis dieser Verschmelzungsprozess schließlich in die buddhistische Kunst von Gandhara mündete.

Aus dem Nachlass von André Malraux sind zwei Skulpturen aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert zu sehen. Sie stammen aus ebendieser Zeit kultureller Überschneidung, der Berührung griechischen und indischen Geistes. So wie im benachbarten Iran unter der Dynastie der Parther griechische Tragödien aufgeführt wurden, erinnern einzelne Darstellungen der Gandhara-Zeit stark an den hellenistischen Apollon. Der nach griechischem Vorbild sorgfältig gestutzte Schnauzbart der marmornen Büste des Prinzen Siddharta aus Peschawar wird in der buddhistischen Tradition als eitel und für die charakterliche Entwicklung unnötig zurückgewiesen.

Von geradezu beklemmender Aktualität ist die Frage, inwieweit der afghanische Islam das kulturelle Erbe seiner Vorgänger aufnimmt. „Die islamische Kunst führt vorislamische Traditionen fort. Damit betont die Ausstellung den Unterschied zwischen traditionellem und extremistischem Islam, der die Völker von ihrer Geschichte und Tradition abschneiden will. So gesehen, handelt es sich hier um eine philosophische Ausstellung“, erklärt Mikhail Pietrovsky von der Sankt Petersburger Eremitage.

Im letzten Raum der Ausstellung findet sich in der Abteilung für islamische Kunst eine der Leihgaben der Eremitage, die legendäre Bobrinsky-Vase aus dem Jahr 1163. Die Abbildungen von Menschen und Tieren auf dem kostbaren Messinggefäß scheinen zwar im Widerspruch zum islamischen Bilderverbot zu stehen. Kunstexperten sehen hier jedoch ein Aufgreifen vorislamischen Brauchtums und damit einen Beweis für die kulturelle Absorptionsfähigkeit Afghanistans. Astrologische Gravuren spiegeln genau dieselben Traditionen wider, wie sie auch in den Räumen der vorislamischen Kunst auftreten. Punkte auf der Stirn einiger figürlicher Darstellungen der Bobrinsky-Vase lassen wiederum indischen Einfluss vermuten.

Die spontane Solidarität der Museen und Privatsammler hat diese großartige Ausstellung möglich gemacht. Gleichwohl sind die Kuratoren über die plötzliche Aktualität Afghanistans gespalten. Einerseits rücken endlich wieder ein lange vergessenes Land und seine Bevölkerung in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Der Grund hierfür ist für Freunde und Kenner afghanischer Kunst aber alles andere als ermutigend. So bleibt es für Cambon auch unwahrscheinlich, dass die Ausstellung jemals in Kabul gezeigt werden kann: „Die halbe Stadt liegt in Trümmern, das Museum auch, die Buddhas von Bamiyan sind zerstört. Die Ausgrabungsstätten der Hadda-Kultur, die griechischen Relikte am Oxus, die letzten afghanisch-sowjetischen Ausgrabungsstätten sind auch dem Erdboden gleich gemacht.“ Und doch mag der französische Kunsthistoriker die Hoffnung nicht aufgeben: „Auch das Museum in Beirut wurde zerstört und ist heute wieder geöffnet.“

Bis 23. 12., Kulturzentrum La Caixa, Barcelona. Vom 28. Februar bis zum 27. Mai 2002 ist die Ausstellung im Musée National des Arts Asiatiques Guimet in Paris zu sehen.

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