: Zweite Abwicklung an der Uni Halle
In ihrem 500. Jubiläumsjahr amputiert sich die Traditionsuni Halle-Wittenberg selbst und streicht zum Jahresende 400 Stellen. Die Mitarbeiter müssen in eine „Auffanggesellschaft“ – oder werden gekündigt. StudentInnen protestieren
HALLE taz ■ Keine überfüllten Vorlesungen, kleine Seminare und ein vielseitiges Angebot des Sprachenzentrums – diese Vorteile bietet die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Doch wahrscheinlich nur noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Dann sollen über 400 Mitarbeiter die Uni verlassen – das wären 20 Prozent der Belegschaft.
„Die Qualität beim Studium wird nicht abnehmen“, versicherte der Rektor der Hallenser Uni Wilfried Grecksch den Studenten vor wenigen Tagen. Er erntete damit Gelächter und Buhrufe von rund 1.000 Studierenden, die seit vergangener Woche gegen den Kahlschlag in Halle protestieren. Am Mittwoch wollen die Studierenden in einer weiteren Vollversammlung beraten, wie sie den Teufelskreis der Kürzungen durchbrechen: Wenn viele Vorlesungen ab Januar ausfallen, sind ihre Scheine in Gefahr – und damit auch Regelstudienzeit und Bafögförderung.
Bis morgen müssen sich die von den Kürzungen betroffenen Mitarbeiter entscheiden: Nehmen sie das Angebot an, in einer Auffanggesellschaft weiter zu arbeiten, – oder lassen sie sich kündigen? Vor zwei Wochen bekamen die Mitarbeiter einen Brief mit „sozialverträglichen Angeboten“ wie Abfindung oder Übernahme in das Beschäftigungsunternehmen „WiSeG mbH“. Diese Gesellschaft ist freilich noch in Gründung. „Wir wissen gar nicht, wo wir eingesetzt werden sollen“, klagte eine Wissenschaftlerin aus der Sprach- und Literaturwissenschaft.
Die Kürzungen an der Universität Halle bedeuten de facto eine zweite Abwicklung nach dem Abschmelzen ganzer Fachbereiche im Zuge der Wiedervereinigung. Halle ist kein Einzelfall. Die Situation ist in den neuen Bundesländern ähnlich, weil der starke Geburtenrückgang nach der Wende den Unis den Nachwuchs raubt. Vor allem die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt haben sich deswegen entschlossen, ihr Studienangebot drastisch einzuschränken.
Die Universität Halle trifft es so hart, weil das Rekorat das von der Landesregierung vorgesehene Ende der Schrumpfkur im Jahr 2004 noch unterboten hat. Rektor Grecksch begründet den vorauseilenden Gehorsam damit, dass er einen schnelle Schnitt machen wolle – um dann in den kommenden Jahren Ruhe an seiner Uni zu haben. Diese Ruhe bezahlt Grecksch nun ausgerechnet im 500. Jubiläumsjahr der Uni mit Nervosität und Unsicherheit. Von den Kürzungen sind 141 wissenschaftliche Mitarbeiter betroffen, die Vorlesungen und Seminare halten. Am Sprachenzentrum bleiben von 32 Stellen 12 übrig. In der Bibliothek erwischt es 40 von 180 Mitarbeitern. ANJA WORM
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