: Schulung und Weiterbildung beim Arbeitsamt
Was Ordentliches lernen
Frau A. ist 34 Jahre alt und nimmt derzeit als arbeitslos gemeldete Erzieherin in Ostberlin an einer Weiterbildungsmaßnahme des Arbeitsamtes teil. Eigentlich ist Frau A. Schauspielerin. Sie verfügt indes über keine staatliche Theaterausbildung. Frau A. erzählt:
Zuerst hatten wir eine Woche Bewerbungstraining bei Frau Schulze (Name von der Redaktion geändert), einer Angestellten von der Schulungsfirma. Man muss diese Schulung mitmachen, weil man sonst sein Arbeitslosengeld gestrichen bekommt. Bei Frau Schulze lernt man als Erstes, dass man gar nicht auf den Arbeitsmarkt passt. Wenn man sagt, man möchte gerne Theater spielen, dann sagt sie: „Hören Sie auf zu träumen! In der heutigen Zeit muss man sich am Markt orientieren. Sie können Floristin, Köchin, Friedhofsgärtnerin oder Verkäuferin machen. Also suchen Sie sich mal was aus!“
***
Einer in der Gruppe will gerne Hausmeister werden. Der Mann hat einen kaputten Rücken, weil er jahrelang im Verkauf gestanden hat. Frau Schulze fragt ihn: „45 Jahre alt sind Sie? Da sind Sie zu alt. Sie haben aber eine gute Stimme, gehen Sie doch ins Callcenter.“
***
Eine andere Frau erzählt, dass sie früher als Verkäuferin gearbeitet hat. Da musste sie einmal an die Kasse bei Kaiser’s und hat wahnsinnige Angst bekommen vor diesen ganzen Menschen. Sie saß also an der Kasse und stand kurz vor einer richtigen Krise. Und Frau Schulze hat zu ihr gesagt: „Ach, wissen Sie was? Da machen Sie sechs Wochen Kassentraining, dann kennen Sie sich aus mit der Registrierkasse und der elektronischen Kasse. Dann ist das kein Problem mehr.“
***
Frau Schulze sagt: „Ja, Ihre ganzen Ostzeugnisse, was Sie da mal gemacht haben, das interessiert doch jetzt keinen mehr.“ Wenn jemand erzählt: „Ich bin schon fünf Jahre arbeitslos“, dann sagt Frau Schulze: „Das ist aber ganz schön lange“, und trägt in ihrer Liste ein Minus bei der Person ein.
***
Ich bin die Außenseiterin in der Schulung, weil ich was Künstlerisches machen will. Frau Schulze hat mich gefragt: „Haben Sie eine Schauspielausbildung?“ „Ja schon, aber keine staatliche Ausbildung.“ Die nächste Frage von ihr: Ob ich mir vorstellen könnte zu kochen?
***
Frau Schulze liest eine Liste mit Berufen vor, die jetzt gefördert werden. Ich frage: „Wie wäre es, wenn ich bei einer Castingfirma ein Schauspieltraining anbieten würde?“ Da sagt sie: „Sie werden jetzt Köchin, sonst liegen Sie dem Arbeitsamt nur weiter auf der Tasche.“ Dann musste ich ins Berufsinformationszentrum, wo entweder Jugendliche sind, die sich nach der Schule Computerspiele aus dem Internet ziehen, oder Arbeitslose, die frustriert vor dem Bildschirm hängen. Auf jeden Fall habe ich mir trotzdem Castingfirmen rausgezogen.
***
Die Schulung geht acht Wochen lang, drei Wochen Schule und fünf Wochen Praktikum. Das Arbeitsamt besorgt dir auch ein Praktikum, wenn du selbst nichts findest. Sie haben ein paar Kontakte. Bei Schlecker zum Beispiel sollen ganz viele untergebracht sein.
***
40 Stunden muss man bei Schlecker rumstehen, damit man seine 600 Mark Arbeitslosenhilfe weiter bekommt. Das Praktikum wird nicht bezahlt. Die Leute von der Schulungsfirma kommen in den Betrieb und kontrollieren, ob du genug arbeitest. Der Arbeitgeber trägt in eine Liste mit Plus- und Minus-Punkten ein, wie man sich verhalten hat. Die Liste wird dann zum Arbeitsamt geschickt.
***
Manche Arbeitslose schlittern jahrelang von Training zu Training. Wer an einer Schulung teilnimmt, gilt nicht als arbeitslos, obwohl er sein Geld trotzdem vom Arbeitsamt bekommt. Das ist gut für die Arbeitslosenquote, weil alle, die in einer Schulung stecken, aus der Statistik rausfliegen.
***
Frau Schulze kann auch lustig sein: „Geben Sie sich mal mit dem zufrieden, was Sie erreichen können. Die Drei ist nun einmal die Eins des kleinen Mannes.“ Dann zeigt sie Bewerbungsunterlagen in einem hässlichen Word-2000-Design. Oder gibt Tipps: „Drucken Sie Ihre Bewerbung in der Firmenfarbe aus, zum Beispiel bei Milka in Lila.“ Ansonsten folge nämlich „Ablage P“: P wie Papierkorb.
***
Manchmal heule ich über diese Frau Schulze vor Wut, manchmal komme ich mir vor wie im Zwangsvollzug. Frau Schulze hat oft ein türkises Kostüm und ein pinkfarbenes Samthemd an, dazu Pseudo-Turnschuhe. Das steigert meinen Hass auf diese Frau so sehr, dass ich schon im Fahrstuhl vom Schulungszentrum keine Luft mehr bekomme. Als Frau Schulze mich einmal gefragt hat, warum ich zu spät gekommen sei, habe ich geantwortet: „Weil ich so viel kotzen musste.“ Da hat sie erst mal nichts mehr gesagt. Für jedes unentschuldigte Fehlen gibt es einen Abzug vom Arbeitslosengeld.
Aufgezeichnet von
KIRSTEN KÜPPERS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen