: Was zahlt die EU für Nordzypern?
In der Türkei mehren sich die Stimmen, die für einen Beitritt Gesamtzyperns zur EU sind. Denn so könnte der eigene Beitritt zur Union leichter werden
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Vier Jahre lang war Sendepause, nun soll wieder geredet werden. Am 4. Dezember, so ließ der Chef der türkischen Zyprioten, Raulf Denktasch, am Montagabend verbreiten, werde er sich mit dem Präsidenten der griechischen Republik Zypern, Glafkos Klerides, treffen. Nachdem Klerides und Denktasch in den letzten Jahren immer um die halbe Welt geflogen waren, nur um dann einem UNO-Vermittler zu sagen, warum sie mit dem jeweils anderen nicht direkt reden wollen, soll nun alles auf kurzem Weg passieren. Statt in New York oder Genf wird das Treffen direkt in der Pufferzone in Nikosia stattfinden. Im direkten Gespräch, lediglich unter Beisein des UNO-Vermittlers de Soto, soll dann noch einmal ein Versuch gemacht werden, die seit Jahren bestehende Blockade zwischen den griechischen und türkischen Zyprioten aufzubrechen.
Das Treffen der beiden alten Herrn könnte die letzte Möglichkeit sein, eine zumindest auf absehbare Zeit endgültige Teilung der Insel zu verhindern. Seit Jahren verhandelt die Republik Zypern mit der EU über einen Beitritt. Laut dem in der letzten Woche vorgelegten Fortschrittsbericht der EU-Kommission gehört Zypern zu den am besten präparierten Ländern der 12 Beitrittskandidaten und hat deshalb auch die besten Chancen, schon 2004 Vollmitglied zu werden. Wenn da nicht der kleine Schönheitsfehler eines geteilten Landes wäre. Bisher ist das türkische Nordzypern, das nur von der Türkei als eigener Staat anerkannt wird und de facto nichts anderes als ein türkisches Protektorat ist, an den Verhandlungen nicht beteiligt. Die türkischen Zyprioten wollen auf dem Weg in die EU zwar gerne dabei sein – allerdings nicht als Provinz der griechischen Republik, sondern als eigenständiger Staat, höchstens aber als Teil einer Konföderation mit den Griechen. Das ist sowohl für die griechischen Zyprioten als auch für Athen unakzeptabel, die beide darauf bestehen, dass der Norden Teil einer gesamtzypriotischen Föderation wird.
An diesen Positionen hat sich seit 18 Jahren, als Denktasch seinen Nordzypriotischen Staat ausrief, nichts geändert, und es spricht auch jetzt nicht viel für eine dramatische Veränderung der Standpunkte. Viel eher scheint es so zu sein, dass keine der beiden Seiten sich vorwerfen lassen möchte, nicht noch einen letzten Versuch einer Verständigung gemacht zu haben. Die Uhr bei den Verhandlungen mit der EU läuft, und der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen hat in der letzten Woche noch einmal klar gemacht, dass die Gemeinschaft notfalls auch bereit ist, Griechisch-Zypern allein aufzunehmen. Intern hat Brüssel der Regierung Denktasch mitgeteilt, dass jetzt nur noch wenige Wochen die Gelegenheit bestünde, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.
Öffentlich haben sowohl Denktasch als auch der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit sehr harsch auf die Erklärung Verheugens reagiert. Anlässlich einer Feierstunde zum 18-jährigen Bestehens Nordzyperns orakelte Denktasch vor wenigen Tagen von einem möglichen türkisch-griechischen Krieg, falls die Republik Zypern in die EU aufgenommen wird. Doch die offizielle Fassade hat erhebliche Risse. Raulf Denktasch weiß, dass die meisten seiner Landsleute nichts lieber als in die EU wollen. Das hat vor allem materielle Gründe. Der international boykottierte Norden ist im Gegensatz zum griechischen Teil völlig verarmt. Während die Republik boomt und das Pro-Kopf-Einkommen bei rund 20.000 Dollar liegt, kommen die türkischen Zyprioten gerade mal auf ein Zehntel davon.
Auch in der Türkei ist die starre Haltung Ecevits längst nicht mehr unumstritten. Die Türkei, so der prominente Kolumnist und Anchor-Man von CNN-Türk, Mehmet Ali Birand, müsste dafür einen hohen Preis zahlen. Eine Annexion Nordzyperns, wie Ecevit sie für den Fall der einseitigen Aufnahme der Republik in die EU angedroht hatte, wäre das Ende der Annäherung der Türkei an die EU. „Wollen wir diesen Preis bezahlen?“, fragte Birand nur mehr rhetorisch und drückte damit die Zweifel der Mehrheit der Türken an der Weisheit ihrer eigenen Regierung aus. Serdar Turgut, Kommentator des regierungstreuen Massenblattes Hürriyet, forderte gar: „Verkauft Nordzypern, solange uns noch jemand etwas dafür zahlt.“ Doch Ecevit will nichts davon hören. Während Präsident Sezer den jüngsten EU-Fortschrittsbericht für die Türkei als „objektiv“ bezeichnete und die Kritik als „berechtigt“ akzeptierte, ereiferte sich Ecevit über die EU-Forderung, die Türkei solle mehr für eine Lösung auf Zypern tun. „Das“, so Ecevit, „sei Sache der UNO.“
Der Konflikt auf Zypern ist letztlich auch der Hauptgrund, warum die Türkei und die EU in einer weiteren Frage zerstritten sind. Seit die EU beschlossen hat, eine Kriseninterventionstruppe von 60.000 Mann aufzustellen, fühlt die Türkei sich übergangen. Geplant ist, an der Truppe nur EU-Mitglieder zu beteiligen, Nato-Mitglieder wie die Türkei dagegen bei Einsätzen nur unverbindlich zu konsultieren. Um Doppelstrukturen zu vermeiden, soll die EU-Truppe auf die Logistik der Nato zurückgreifen können, und genau dies gibt der Türkei den Hebel, die Geschichte zu blockieren, da alle Nato-Mitglieder einem solchen Agreement zustimmen müssen. Die Türkei besteht darauf, bei allen EU-Einsätzen, die ihre Interessen berühren könnten, in die Entscheidungen miteinbezogen zu werden. Dahinter steckt die Angst, die Truppe könnte auf griechischer Seite in einem Konflikt auf Zypern intervenieren. Eine absurde Vorstellung, wie Experten meinen. „Niemals“, so der Militärfachmann Lothar Rühle kürzlich während einer Veranstaltung in Istanbul, „würde die EU sich auf ein solches Abenteuer einlassen.“ Nach Gesprächen in Ankara, Washington und Brüssel gehe er vielmehr davon aus, dass der Streit zwischen Ankara und Brüssel in Kürze beigelegt wird. „Seit dem 11. September“, so Rühle, „geht es wieder um die wirklichen und nicht mehr um die eingebildeten Konflikte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen