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: Geschlossenheit gegen Offenheit

Falls es jemand übersehen haben sollte: In Nürnberg findet gegenwärtig eine Veranstaltung statt, die sich Parteitag der SPD nennt. Der Kanzler ist bei bester Gesundheit, seine Partei aber siecht dahin, wie dem jüngsten Geschäftbericht zu entnehmen ist. Die Mitglieder werden immer weniger und älter, ganze Berufsgruppen der „neuen Mitte“ sind stark unterrepräsentiert. Das ist keine bestürzend neue Nachricht. Interessanter scheint die Frage, wie die Auszehrung der Partei mit dem Postulat der Geschlossenheit zusammenhängt, das Schröder in Nürnberg so erfolgreich durchsetzte.

Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER

Seit Jahren mühen sich Parteireformer, der SPD zu neuem Lebenselan zu verhelfen. Dies auf zwei Schienen. Zum einen gilt es, konzentrische Kreise um die SPD herum aufzubauen, in denen sich kritische Freunde auf Zeit engagieren, wo Lebenspraxis eingebracht, wo neue programmatische Ideen als Treibstoff dem Tanker zugeführt werden. Zum andern soll mit Hilfe demokratisierender Maßnahmen wie der Vorwahlen (Primaries) die Einflussnahme des Publikums auf die Kandidatenlese verstärkt werden. Beide Gruppen von Vorschlägen stellen in Rechnung, dass die SPD sowohl Volks- als auch Programmpartei bleiben muss. Beide haben die Öffnung der Partei gegenüber der Gesellschaft als gemeinsamen Nenner.

Dummerweise kann die Tür für den Publikumsverkehr nicht gleichzeitig offen und geschlossen sein. Wenn Schröder auf dem Parteitag bemerkt, dass die SPD es sich nicht leisten könne, „in einen oberflächlichen, gelegentlich auch billigen Antiamerikanismus abzurutschen“, dann ist diese Mahnung an die Adresse der Delegierten der Sache nach überflüssig, erfüllt aber ihren Zweck als Disziplinierungsmittel. Weder die Delegierten noch das Publikum sollen über seinen Blankoscheck für die Bush-Administration diskutieren, nicht über die Notwendigkeit einer eigenständigen Politik der Europäischen Union angesichts des Terrors, nicht darüber, wie sich militärische, polizeiliche und ökonomische Mittel der Terrorismusbekämpfung eigentlich genau zueinander verhalten sollen.

Wer aber, angestoßen durch den Schock des Terrors, sich bei der SPD engagieren will, der tut das nicht wegen einer perversen Vorliebe fürs Vereinsleben, er möchte mitdiskutieren, mitentscheiden. Er setzt auf Durchlässigkeit des Parteiapparats. Es geht ihm, wenigstens in der Regel, ums Gemeinwohl. Über das aber wird im offenen Meinungsstreit entschieden.

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