in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN übers Verlieren

Im Teufelskreis des Wahnsinns

Am letzten Wochenende fauchte mich ein Kollege an, dass man an dem Kram merken würde, den ich da gerade erzählte, dass ich nie richtig Fußball gespielt hätte. Was insofern ein Punkt ist, als er immerhin fast Bundesligaprofi geworden war und meine eigene Karriere als Kicker ihren Höhepunkt in der Kreisliga C hatte. Ausgelöst hatte seinen Hinweis auf meine fußballpraktische Unzulänglichkeit, dass ich darauf beharrte, ein insgesamt nicht guter Schiedsrichter hätte korrekt entschieden, als er einem Kölner Kicker nach dessen taktischem Foul die Gelb-Rote Karte zeigte, womit die Partie quasi entschieden war. „Jetzt liegen hier auch noch bei den Journalisten die Nerven blank“, grummelte ich zurück, was ich mir aber durchaus hätte sparen können.

Neutralität ist eine unglückliche Sache und der distanzierte Blick kommt einem selbst plötzlich eiskalt vor, wenn man auf Menschen trifft, die gerade in der Hölle Abstiegskampf schmoren. Zumal dieses Leid bei ihnen zu einem getrübten Blick führen muss, der das eigentlich nicht sein darf, aber zugleich sein muss. Ein Widerspruch liegt darin nicht, denn der Abstiegskampf mit seinen notwendig vorangegangenen Misserfolgen produziert stets eine negative Dynamik. So vermindern Niederlagen den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit, wodurch die Leistungen schlechter werden, was den Glauben weiter unterminiert, was für schlechtere Leistungen ... Daher müssen Manager und Trainer ihrer Mannschaft in solchen Zeiten gut zureden. Sie etwa für Leistungssteigerungen loben, die vielleicht nur minimal waren, aber den Weg für viel größere bereiten könnten. Man kann auch ihren Trotz wecken und sie als Opfer der Schiedsrichter hinstellen. So bekommt das Team eine Entschuldigung, dass es doch nicht an seinen Mängeln liegt, auf dass diese beim nächsten Mal verschwunden sind.

All das ist zugleich gefährlich, weshalb der bewusst getrübte Blick zugleich klar sein muss, um nicht jenen Moment zu verpassen, in dem die wahren Defizite einer Mannschaft offenbar werden. Dass sie also nicht unter ihren Möglichkeiten spielt, sondern zuvor über ihren Möglichkeiten spielte und nun von einer erschreckenden Wirklichkeit eingeholt wird. Diese seltsame Schwurbel-Dialektik macht es auch sinnlos, mit Trainern, Managern oder gar Spielern in dieser Situation zu reden. Sie stecken so fest in einem Wahnzustand, der zwischen Trübung und Klarheit oszilliert, dass sie ihn selbst nicht mehr erkennen können.

Der 1. FC Köln etwa hat gerade sieben Spiele in Folge verloren. Sich also siebenmal vorbereitet, beste Vorsätze gefasst, ist mit gutem Willen auf den Platz gegangen – und hat ihn am Ende als Verlierer verlassen. Das Einzige, was man bei Nachfragen in solchen Situationen erfahren kann, ist, ob sich ein Team schon aufgegeben hat. Dass die Spieler nun nämlich glauben, schlicht zu schlecht zu sein und folglich keine Kraft mehr für eine Wende der Geschehnisse haben. Sich also für einen klaren Blick entschieden haben, der – das ist noch so eine Tücke – gar nicht stimmen muss.

Puh! Wie kommt man da wieder heraus? Köln und alle anderen in solchen Situationen brauchen Hilfe von außen, weil alle drinnen zu gefangen sind. Aus diesem Grund werden oft die Trainer gewechselt, was nicht selten aber nur ein Austausch des Talismanns ist. Genauso hilft das schlichte Glück einer falschen, aber Sieg bringenden Elfmeterentscheidung. Oder ein Gegner, der fünfmal an Latte und Pfosten schießt. Oder es kommen neue Spieler, die noch nicht wahnhaft verstrickt sind und einfach Fußball spielen. Mit solcher Hilfe von außen kann neuer Glauben entstehen, und das Wort ist hier durchaus in seiner religiösen Bedeutung zu verstehen. Dann geht der Wahn zu Ende, und erst anschließend, daran werde ich mich ab sofort halten, werde ich beim Lamento über Schiedsrichter Widerworte geben.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber