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Unbehagen an der Perfektion

Vom intellektuellen Clown zum seriösen Leidensträger: In „Das Zimmer meines Sohnes“ lässt Nanni Moretti seine kompromisslose Subjektivität hinter sich und macht auf ernst. Mit einem kunstvollen Zuwenig, das auf Dauer zu viel wird

von BIRGIT GLOMBITZA

Das Alltägliche kann herzzerreißend sein. Und mysteriös und grausam und unvergesslich. Diesmal macht Nanni Moretti keinen Spaß, diesmal geht es um alles. Um Tod, Schuld und Schmerz. Um das zu begreifen, verfährt Italiens populärster Autorenfilmer in seinem jüngsten Film „Das Zimmer meines Sohnes“ ungewohnt didaktisch und gibt das Normale zur überaus konzentrierten Anschauung frei: Vater, Mutter, Sohn, Tochter. Eine Andachtstunde auf die Kleinfamilie. Schlicht und unspektakulär. Schon der Epilog des Films gehört der Macht der Gewohnheit. Ein Streifzug beginnt durch all die kleinen Rituale und all die Versuche, die Unregelmäßigkeiten des Lebens mit Struktur in den Griff zu bekommen. Frühstück, Arbeit, Schule, Freizeit.

Wir sehen Moretti als Familienvater Giovanni am frühen Morgen beim Joggen durch Ancona, wie er sich sortiert für die anstehenden Tagesaufgaben, bevor er seine Kinder fragt, zu welchem Training sie nach der Schule gehen. Regelmäßiges Training, das ist überhaupt „das Wichtigste“. Denn körperliche Ertüchtigungen ersparen einem manches Leib-Seele-Problem, weiß der Psychoanalytiker. So nimmt er seinen Sohn Andrea nach einer Tennisniederlage zur Stärkung der Moral und der Motivation zur Seite. Professionell wie ein Coach, aber ohne Gespür dafür, dass Andrea schon längst nicht mehr jeden Frust mit seinem Vater teilt und im Ballspielen keine größeren Initiationen mehr erwartet.

Leidenschaftsloser, aber genauso nachsichtig widmet sich Giovanni seinen Patienten. Seelenruhig verfolgt er narzisstische Persönlichkeitsstörungen, lauscht überspannten Fantasien und detailfreudigen Todessehnsüchten. Er nickt, notiert, fragt nach. Auch bei der Patientin, die nicht mehr kommen will, weil sie schon lange das Gefühl habe, dass er sie nicht die Spur verstehe, und weil sie nach jeder Sitzung sowieso viel zu viel Geld in der Boutique nebenan lasse. In der nächsten Woche sitzt sie wieder da. Wie vor ihr der eingebildete Todkranke, der Manische, der Depressive – die Macht der Gewohntheit, sie kann ein pathologischer Fall sein.

So vergeht die Zeit, Joggen, Essen, Unterhalten, Schlafen. Ein mittelständisches Familienleben, so wenig aufregend, dass man sich keine größere Katastrophe als einen angebrannten Kuchen oder ein Loch im Trainingsanzug vorstellen kann. Hier eine kleine Meinungsverschiedenheit, die im Liberalismus des Mittelstands mit einem eindringlichen Blick und einem Schulterklopfen aus der Welt ist. Da eine spöttische Bemerkung, die in der aufgekratzten Fröhlichkeit eines Ausflugs untergeht. Vater, Mutter, Kinder hören einen Schlager im Radio und stimmen einer nach dem anderen ein. Auch das eine Szene ohne großes Tamtam, schlicht und seltsam ergreifend, weil man anfängt, sich Sorgen zu machen und hinter der unchristlichen Ausgelassenheit ein strafendes Ende wittert.

Und dann passiert’s. Ein Unfall. Einer stirbt. Auch das ist das Normalste von der Welt. Und doch reißt es ein Loch aus Schmerz und Wut ins Familientableau, das mit nichts zu verpflastern ist. An einem Tag wie an jedem anderen kommt Andrea bei einem Tauchunfall ums Leben.

Zu sehen ist das nicht, der Tod bekommt hier kein Bild. Aber für das Verlassenwerden findet Moretti dafür ein unglaublich prägnantes: Tochter Irene und Giovanni stehen vor dem Sarg. Zwei Männer treiben mit Akkubohrern lange Schrauben durch den Deckel. Das raspelt und kracht ohrenbetäubend und dauert dazu genauso lange, wie so etwas eben dauert. Schraube für Schraube. Kaum auszuhalten. Ein Bild für das Mysterium des Sterbens. Brachial und verschlossen zugleich.

Sicher, Einstellungen wie diese machen aus „Das Zimmer meines Sohnes“, der in Cannes die Goldenen Palme gewann, einen eindrucksvollen Film. Seltsam nur, das sich am Ende trotzdem ein Unbehagen meldet. Vielleicht ist es gerade das kunstvolle Zuwenig, was auf die Dauer zu viel wird. Die konsequente Stilisierung, die unbedingte Kargheit. Nie haftet ihr etwas Beiläufiges an. Jedes Bild ist kostbar, jede der vielen Großaufnahmen auf angespannte und verzweifelte Gesichter wirkt wie ein Manifest der Trostlosigkeit. Dazu ein Nanni Moretti der ständigen Präsenz. Kaum ein Bild kommt ohne ihn aus, alles wird zu seinem Blick, seinem Schmerz, seinem Schuldgefühl. Für die Trauer von Mutter Paola (Laura Morante) und Tochter Irene bleibt da nur am Rande Platz.

Die Unbefangenheit, die kunstvollen Randbemerkungen und die kompromisslose Subjektivität, mit der sich Nanni Moretti in Filmen wie „Mein liebes Tagebuch“ oder „Aprile“ dem Publikum zur Schau stellte, machte ihn unverwechselbar. Seine Egozentrik, seine Eitelkeiten und Hypochondrien trug er wie einen Bauchladen vor sich her, ebenso selbstverliebt wie -ironisch. Doch diesmal haben wir es nicht mit dem lakonischen Regie-Alter-Ego zu tun. Diesmal wird gespielt. Und zwar ernsthaft. Das viel gehörte „Ich“ Morettis ist nicht mehr einfach hemmungslos eklektizistisch, anfechtbar und liebenswert. Es ist nicht länger das schluckaufartig wiederholte Fürwort eines intellektuellen Clowns, sondern eines seriösen Leidensträgers. Ersterer hätte vielleicht noch mit Woody Allen gefragt: „Was passiert mit der Seele nach dem Tod, wie wird sie damit fertig?“ Letzterer schließt seine Praxis auf unbestimmte Zeit und fährt mit dem Rest der Familie in eine unbestimmte Szenerie aus Schweigen und Meer.

„Das Zimmer meines Sohnes“. Regie: Nanni Moretti. Mit: Nanni Moretti, Laura Morante, Giuseppe Sanfelice u. a. Italien 2001, 99 Min.

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