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Die Schleier verschwinden

Es liegt kein Grau mehr über der Stadt: Nebeltage sind selten, weil die Luft immer sauberer wird. Kein Grund für Euphorie: Am Wochenende gibt’s weiter trübes Wetter, Schneematsch und kalte Füße

von RICHARD ROTHER

Der Winter kommt, der Nebel geht. Während am Wochenende die ersten nassen Schneeflocken dieser Saison für Matsch und Unmut sorgen, müssen sich die Berliner auf das Verschwinden einer liebgewordenen depressiven Wetterlage einstellen: Fahle Nebelschleier, die über nass glänzendes Kopfsteinpflaster wabern, sind aus der Innenstadt so gut wie verschwunden. Gerade mal noch sechs Nebeltage pro Winter gibt es durchschnittlich in Berlin, in den 60er-Jahren waren es mit 20 Tagen mehr als dreimal so viel. Das hat Rainer Dettmann, Metereologe an der Freien Universität, ermittelt.

Der Grund dafür ist einfach: Die Berliner Luft ist sauberer geworden. Nebel entsteht nämlich durch die Anlagerung feiner Wassertröpfchen an Staub- oder Schmutzpartikeln, wenn die Luft in Bodennähe kalt und feucht genug dafür ist. „Je schmutziger die Luft, desto leichter bildet sich Nebel in der Stadt“, sagt Dettmann. Am Stadtrand ist das etwas anders, hier ist die Luft meist ein paar Grad kälter als in der Innenstadt, wo Stein und Beton die Wärme speichern.

Die Staub- und Schwebstoffe, die noch in den achtziger Jahren für tagelange Nebelschleier gesorgt haben, sind deutlich weniger geworden, die Autos sind sauberer, verbrauchen weniger Benzin und Diesel; die alten Kraftwerke und Industrieanlagen der DDR wurden dichtgemacht, neue Kraftwerke mit modernen Entschwefelungsanlagen ausgestattet; immer weniger Berliner müssen Kohlen schleppen und ihre Öfen anheizen. Die Konzentration von Schadstoffen wie Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxid oder Schwebstaub ist rapide gesunken: bei Schwebstaub seit 1984 etwa um 65 Prozent.

Melancholiker warten auch am Wochenende vergeblich auf die grauen Schleier, denn Nebel bildet sich nur bei ganz bestimmten Wetterlagen: wenn relativ feuchte Meeresluft – etwa von der Nordsee oder aus dem Mittelmeerraum – einfließt und durch ein kühles Zwischenhoch zur Ruhe kommt. Milde West- oder kalte, trockene Ostwinde jedenfalls blasen jeden Nebelschleier weg, bevor er sich zwischen den Häusern festsetzen kann.

In den nächsten Tagen wird es einen typischen Herbstmix geben: trübe und kühle Tage ohne Nebel. Heute kann aus einer dichten Wolkendecke Schnee fallen; bei Temperaturen um drei bis vier Grad verwandelt er sich am Boden aber sofort in Matsch. In der Nacht wird leichter Frost erwartet. Besonders am Stadtrand kann es dann stellenweise recht rutschig werden.

Am Sonnabend könnte zunächst die Sonne scheinen, bevor von Westen erneut Wolken heranziehen, die milde Luft und Schneeregen mitbringen. Zünftiges Novemberwetter auch am Sonntag: Stark bewölkt und Nieselregen. Wann die nächsten Nebelschwaden durch die Stadt ziehen, wissen die Metereologen jedoch ebenso wenig vorherzusagen wie die Chance auf weiße Weihnachtstage. Nur so viel ist sicher: Der nächste Sommer kommt bestimmt – so in sieben, acht Monaten.

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