: Aderlass nach dem Auftrittsverbot
Mondäne Zeiten: Eine CD-Edition dokumentiert, wie jüdische Künstler die deutsche Unterhaltungskultur der Weimarer Republikjahre geprägt haben
von AXEL SCHOCK
Als 1930 der neue Hauptkatalog der Plattenfirma Polydor erschien, war er auf mehr als 200 Seiten Umfang angewachsen. Einträchtig stehen Operettenmelodien oder Aufnahmen von Claire Waldoff und Fritzi Massary nebeneinander, und unter der Rubrik „Kirchenmusik“ finden sich ganz selbstverständlich auch Aufnahmen jüdischer Oberkantoren aus Breslau, Karlsbad und Bratislava. Im Januar 1933 geht es Schlag auf Schlag. Der jüdische Generaldirektor Bruno Borchardt flieht heimlich mit seiner Familie aus Deutschland, SA-Posten stehen warnend und wachend vor dem Eingang des „jüdischen Unternehmens“.
Nach und nach werden freiwillig die Vertriebslisten bereinigt. Erst verschwinden jiddische Dialektaufnahmen und „hebräische Sakralmusik“. Als 1935 jüdische Künstler und Komponisten mit einem Auftrittsverbot belegt werden, sind unter anderem auch Max Hansen und der Kabarettist Paul Morgan nicht mehr lieferbar. Polydor verliert gewissermaßen über Nacht seine wirtschaftliche Grundlage, denn der größte Umsatz wurde mit der populären Unterhaltungsmusik gemacht. Und diese wiederum maßgeblich von jüdischen Künstlern. 1937 steht die Plattenfirma vor dem wirtschaftlichen Ruin.
Die Geschichte der Polydor ist nur ein Beispiel, wie stark das kulturelle Leben, insbesondere die Unterhaltungskultur in Deutschland wie in Österreich seine Vielfalt, Blüte und Lebendigkeit jüdischen Entertainern, Sängern, Textern, Schauspielern und Komponisten zu verdanken hatte. Immer wieder wird von der unterbrochenen Tradition der deutschen Unterhaltungskunst fabuliert und – zu Recht – wird darin der Grund gesehen, weshalb Deutschland nach 1945 in Sachen Boulevardtheater, Revue und Musical, Filmkomödie und Chanson so blutleer, einfallslos und unergiebig war: die Wurzeln waren gekappt und, schlimmer noch: eine ganze Generation von Kreativen ins Exil verjagt oder ermordet.
Eine zweiteilige, aufwändige CD-Edition, herausgegeben von Chaim Frank vom Münchner Dokumentationsarchiv für Jüdische Kultur und Geschichte und dem Volkskundler Andreas Koll, ermöglicht nun eine Wiederbegegnung mit bekannten wie vergessenen Interpreten und raren Schellackaufnahmen aus den Metropolen Berlin, Hamburg, München und Wien. Das Archiv der Sammler Josef Kaiser und Werner E. Vornehm hat zum Teil Raritäten preisgegeben, die nicht nur unter dem reinen Unterhaltungsaspekt faszinieren.
Einige Namen sind auch heute nicht vergessen, Friedrich Hollaender und Blandine Ebinger etwa oder Startenor Richard Tauber und die Operettensängerin Fritzi Massary. Volkstümliche Couplets und Sketche wie die der Hamburger Gebrüder Wolf („Twüschen Elbchaussee und Stadtparksee“) stehen neben Wiener Schmäh eines Heinrich Eisenbach („Fiaker Hupferl beim Bezirksgericht“).
Albernes und Frivoles neben anerkannt bürgerlichem Kulturgut. Karl Kraus etwa mit seinem „Schoberlied“, Max Brod oder Kurt Gerron, der Brecht/Weills „Mackie Messer“ in der Uraufführungsproduktion sang. Man ist aber schon etwas erstaunt, wenn ein Franz Engel in seinem Lied „Man soll mit Polacks nichts verkehren“ heiter und in klassischer Couplettradition 1931 diebische Polenklischees verbreitet, wie man sie neuerdings wieder in Ingolf Lücks „Wochenshow“ zu hören bekommt. Oder er in seinem Rundfunksketch ein Erlebnis beim Friseur schildert und sich ein Kunde über den Judengestank beschwert – und Engel mit einer überraschenden Schlusspointe die Grenzen der Judenfreundlichkeit von Nichtjuden karikiert. Man verteidigt sie gerne – solange man nicht selbst als Jude diffamiert wird.
Tagesaktuell kommt 1927 auch die von Max Pallenberg dargebotene Übersetzung des „Scharfrichter-Couplets“ aus der US-Musical-Comedy „Der Mikado“ von Gilbert & Sullivan daher. Gründe zum Köpfen gibt es hier viele. Auf den Hackklotz gehören da beispielsweise „hochmoderne Maler“ – gemeint war wohl die Künstlergruppe „Die Brücke“ – „die so malen, als sei man blind. /Das Wasser malen sie dunkelrot und grün ein blondes Kind“. Auch um Regisseure „ist es nicht schad“, die Hamlet in einen Frack stecken – die Erregung über Leopold Jessners umstrittene Inszenierung von 1926 am Deutschen Schauspielhaus war offenkundig immer noch nicht abgeklungen. Bei allen zeitkritischen oder konkret am gesellschaftlichen Alltag orientierten kabarettistischen Nummern überwiegt in diesen insgesamt 72 Liedern der Edition letztlich aber das pure Amüsement, das zu einem großen Teil sogar heute noch funktioniert. Gleichwohl, man hört derlei ausgelassene Botschaften aus einer weltoffenen, lebensfreudigen Ära mit gemischten Gefühlen.
Die wenigsten Künstler haben den Faschismus überlebt. Viele von ihnen, von Will Rosen über Kurt Gerron bis Otto Walburg, wurden in den KZs und Vernichtungslagern ermordet. Paul O’Montis, der mit seinen Ulk- und Nonsensschlagern und mondän-karikaturistischen Couplets nicht nur in Berlin erfolgreich und als Jude wie Homosexueller gleichermaßen verfolgt war, ist das letzte Lied auf der CD vorbehalten, ein „Kaddisch“, gesungen gleichermaßen für alle zu Tode Gekommenen. O’Montis selbst kam den Mördern zuvor und erhängte sich im Juli 1940 im KZ Sachsenhausen.
„Populäre jüdische Künstler. Musik & Entertainment. Berlin, Hamburg, München 1903-1933“ „Populäre jüdische Künstler. Musik & Entertainment. Wien 1903-1936“; beide Trikont/ Indigo
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