Souveräne Grüne?

betr.: „Therapeutin für die grüne Seele“ taz vom 19. 11. 01

Hoffen wir, dass die Delegierten in Rostok souverän genug sind, sich zunächst einmal eindeutig zur Frage der Beteiligung Deutschlands am Krieg zu äußern, ohne dass diese Diskussion mit der Drohung vom Koalitionsende genauso platt gebügelt wird, wie Kanzler Schröder es mit den Kritikern aus den Reihen der SPD und grünen Fraktion vorgemacht hat. Wenn selbst über so existentielle politische Fragen wie einer Kriegsbeteiligung aus Parteidisziplin oder Koalitionstreue keine offene Debatte mehr geführt werden kann, hätte sich die grüne Partei ein Armutszeugnis ausgestellt.

[...] Die Berichterstattung über die „acht Abweichler“ macht allzu leicht vergessen, dass für die übrigen Bundestagsabgeordneten der Grünen meist kein echter Konflikt bei der Abstimmung gegeben war: Sie finden die Kriegsbeteiligung ja richtig. Und das waren immerhin mehr als 80 Prozent der grünen Bundestagsabgeordneten. WILHELM ACHENPÖHLER, Münster

Die ganze Staatspolitik besteht aus der alles bestimmenden Partei- und Fraktionsdisziplin. Nicht mehr aus Verantwortung und nicht mehr aus „dem Volk verpflichtet“. Ein Feind des Systems, der sich gegen einen Krieg ausspricht. Ein „Abweichler“, der seinen Überzeugungen von Sinn und Unsinn eines Einsatzes der Bundeswehr auf der halben Welt gegen den „internationalen Terrorismus“ dem Parteiendruck stand hält.

[...] Deutlicher als in den letzten Tagen vor der Abstimmung über den Bundeskanzler, die er nach Meinung vieler und Schröder selber, lieber verloren hätte, konnten die Grünen nicht verdeutlichen, dass sie in der parteiendisziplinarischen Lüge angekommen und verloren sind. Die Einzigen, die sich diese Vehemenz der parlamentarischen Prostitution nahezu unbeschadet leisten können, sind die Strategen der orphischen FDP, die sich mit Hamburg und Berlin beweisen lässt. JÖRG F. KÜSTER, Lingen

betr.: „Deutliche Worte für die Grünen“, taz vom 20. 11. 01

Die Grünen als Regierungspartei hat die Republik so nötig wie einen Kropf. Was haben die Grünen erreicht, was mit einer außerparlamentarischen Opposition und ordentlicher Lobbyarbeit durch NGOs nicht auch hätte erreicht werden können? Wie oft sind sie stattdessen bei fundamentalen grünen Positionen eingeknickt oder haben sich von Schröder vorführen lassen? Hätte es mit Westerwelle und Merz wirklich so viel schlimmer kommen können? Angst vor der Zukunft ohne Rot-Grün? Ja!

Rot-Grün hat die Mitte verbaut und die Konservativen sind gezwungen, sich mit rechtspopulistischen Methoden und Themen (Ausländer, innere Sicherheit) zu profilieren, wollen sie je an die Macht zurück (siehe Dänemark). So könnten für eine Hand voll Solardächer in der CDU die Dumpfbacken die Oberhand gewinnen, während die liberaleren Teile der Partei immer mehr an Macht verlieren, weil sie kaum von Rot-Grün unterscheidbare Positionen vertreten.

Das konservative Lager könnte also versucht sein, die nächsten Wahlen auf Kosten von Ausländern, Sozialschwachen und bürgerlichen Freiheiten zu führen, um politisch zu überleben. Rot-Grün ist somit schlimmer als eine große Koaliton, weil sei einen Großteil von kritisch denkenden Menschen zur Nibelungentreue verurteilt oder sie zum politischen Gegner werden lässt. Wenn von außen kein Druck kommt, haben die Parlamentarier keine Handlungsgrundlagen. Dieser Druck verpufft, wenn man sich als Linker ständig gezwungen sieht (warum eigentlich noch?), sich mit Rot-Grün auseinander zu setzen und nicht mit den Positionen des politischen Gegners. Rot-Grün treibt die Republik in die Arme von Kochs und Schills, wenn diese denn dann überhaupt noch nötig sind. WINFRIED THIESSEN, Marburg

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