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Olivgrün will der Osten nicht

Die ostdeutschen Bündnisgrünen am Rande der Verzweiflung: Eine Koppelung von Koalitions- und Kriegsfrage, wie jetzt im Leitantrag vorgesehen, führe zu „Apathie“

DRESDEN taz ■ Horst Schiermeyer aus der sächsischen Grenzstadt Zittau will auf dem bevorstehenden Rostocker Parteitag der Bündnisgrünen den Konflikt der Partei auf die Spitze treiben. Er hat den Antrag gestellt, das Prinzip der Gewaltfreiheit aus dem Parteiprogramm zu streichen.

Nirgendwo bei den Grünen hat Kanzler Schröders Verbindung von Bundeswehreinsatz und Vertrauensfrage größere Verbitterung ausgelöst als in Sachsen. Karl-Heinz Gerstenberg, Sprecher des mit 960 Mitgliedern größten ostdeutschen Landesverbandes in Sachsen, ist nicht begeistert von der Initiative Schiermeyers. Dennoch müsse man die Diskussion in der Sachfrage angemessener Terrorbekämpfung von der Koalitionsfrage trennen. „Die Partei sollte sich nicht in gleicher Weise disziplinieren lassen, wie es Kanzler Schröder mit der Bundestagsfraktion getan hat“, sagte er noch vor Bekanntwerden des Leitantrags. Gerstenberg bleibt bei seiner Einschätzung, es habe sich dabei um Erpressung und ein Zeichen politischer Unkultur gehandelt. In Rostock könnten die Bündnisgrünen den Spagat nur aushalten, wenn das Nein zu Militäreinsätzen von einem Ja zur Fortsetzung der Berliner Regierungskoalition getrennt würde.

Er befindet sich damit im Dissens zur Bundestagsabgeordneten Antje Hermenau, deren Regionalbüro er in Dresden führt. Sie hatte im Bundestag zugestimmt und sich daraufhin als „olivgrüne Kriegstreiberin“ beschimpfen lassen müssen. Ein „Nein“ zu Kriegseinsätzen hatte der Landesparteitag in Leipzig am 10. November bereits mit knapper Mehrheit ausgesprochen und damit den einstigen Vorzeigekandidaten Werner Schulz endgültig vergrault. Er stellt seine Mitarbeit im Landesverband ein.

Die einzelnen Kreisverbände positionierten sich bislang höchst unterschiedlich. Leipzig stimmte zu, Dresden ist konsequent gegen den Bundeswehreinsatz. Eine Austrittswelle blieb aber bislang aus. Weniger als zehn Mitglieder haben den sächsischen Verband seit der Abstimmung im Bundestag verlassen. Einige warten aber den Parteitag ab, weiß Landessprecher Gerstenberg. Passierte in Rostock Ähnliches wie in Berlin, würden viele in Apathie und Resignation verfallen, auch wenn sie den Grünen treu blieben. Die von der Bundestagsfraktion erreichten Zusatzvereinbarungen zum Militäreinsatz hätten allerdings auch eine gewisse Entkrampfung bewirkt.

Auch Sachsen-Anhalts Landesvorsitzender Thomas Bichler konstatierte eine ähnliche Entwicklung in seinem Landesverband. Die seit Freitag ausgetretenen etwa zehn Mitglieder hätten trotz ihrer Entscheidung weiterhin ehrenamtliche Mitarbeit angeboten. Mit den 20 Prozent Mitgliederverlusten in der Kosovo-Krise sei das nicht zu vergleichen. „Eine rein pazifistische Mehrheitsentscheidung beim Bundesparteitag würde unseren Landesverband aber auch nicht spalten“, formuliert Bichler salomonisch. Auch er hatte der Parteispitze dringend empfohlen, den Leitantrag so zu formulieren, dass Kriegsbeteiligung und Koalitionsfrage nicht zusammengeworfen werden. Es herrsche ohnehin bei den Mitgliedern schon „tiefe Bedrückung angesichts der Zwangssituation, in der wir uns befinden“. Seine Tandem-Sprecherkollegin Ines Brock räumte allerdings ein, dass es Weltlagen gebe, in der mit Gewaltfreiheit allein keine Lösungen zu erreichen seien.

In Thüringen hat zwar der Landesvorstand in dieser Woche nicht noch einmal getagt. Er wird aber zwei bereits am 8. November beschlossene Anträge unverändert zum Bundesparteitag einbringen. Die Thüringer fordern den entschiedenen Stopp aller Bombenangriffe und lehnen auch den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte ab. Obschon formell bereits überholt, werden darin die Bundestagsabgeordneten nochmals aufgefordert, der „Generalermächtigung“ für die Bundesregierung nicht zuzustimmen und vielmehr „kritische Solidarität in der internationalen Allianz gegen den Terror“ zu üben.

MICHAEL BARTSCH

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