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Hot Dogs in der BergmannstraßeAmerikanisches vom türkischen Deutschen

Dass auf der Kreuzberger Flaniermeile eines Tages eine Sushibar eröffnen würde, war absehbar. Dass es tatsächlich ein Japaner, und noch dazu ein Meister seines Faches war, ist eher ein glücklicher Zufall. Es hätte auch ein Deutscher aus dem Schwarzwald oder ein Amerikaner aus Texas auf die Idee kommen können, die Kreuzberger mit dem modisch rohen Fisch zu versorgen. Aber auf den Gedanken, ausgerechnet in der Bergmannstraße, die sich noch immer für die politisch korrekte Alternative zum Ku’damm hält, „Hot Dogs“ und „Burger“ feilzubieten, auf diese Idee kann eigentlich nur ein Amerikaner kommen.

Doch es war ein Deutscher. Wenn auch ursprünglich ein Türke. Auf jeden Fall einer, der den Versuch wagen wollte, die schlanken Würste, die in Mitte und Prenzlauer Berg so erfolgreich waren und die in Frankfurt „Wiener“ und in Wien „Frankfurter“ und in New York aus irgendeinem unerfindlichen Grund „Heiße Hunde“ heißen, nach Kreuzberg zu exportieren. Und tatsächlich: Die Würstchen kommen auch im tiefsten Westen gut an.

Schon zu Mittag warten die gesitteten Bergmannsträßler auf die wohl gestaltete, die weltstädtische, die Aristokratin der Würste. Eine Wurst, die nichts zu tun haben will mit der banalen Berliner, dieser fetten Proletarierin, die ihre Unförmigkeit unter einer Staubwolke von Currypuder und Bergen von Ketchup und Majonäse verbirgt und vorsichtshalber nur in Begleitung leichenblasser Pommes auftritt. Und weil sie so eine feine Wurst ist, stehen nun vor dem Imbiss nicht nur die üblichen Kreuzberger mit ihren Hosenträgern über dem weißen Hemd und dem Baby im peruanischen Tragetuch, sondern auch die figurbewussten Bürohengste mit den hellblauen Hemden und die Bürostuten in Faltenröcken. So vereinigen sich die letzten Exemplare der Freaks, die Künstler, die Müllmänner und die Mitarbeiter moderner Büroetagen zu einer andächtig essenden Gemeinde, und alle schwören, dass noch nie eine Wurst so gut schmeckte wie diese.

Die Nummer eins auf der Speisekarte allerdings ist nicht der amerikanische Hot Dog, sondern die dänische Wurst mit Röstzwiebeln, süß-sauren Gurken und Remoulade. Genau genommen outet sich eigentlich keine der hier ausgeschriebenen Würste als originale Amerikanerin. Vielleicht schämen sie sich ein bisschen hier in Kreuzberg. Wegen des Krieges vielleicht. Jedenfalls klingt der „Kraut Hot Dog“ ziemlich deutsch, und eher thailändisch der „Chili Hot Dog“. International und politisch wie ökologisch korrekt sind die alternativen „Vitalburger“ und „Vegiburger“. Lediglich dem mit Käse belegten Cheeseburger und dem klassischen Hamburger haftet noch die Aura des Amerikanischen an. Wobei Letzterer ja vielleicht aus Hamburg kommt – wie einige Seeleute gerne erzählen.

Wer zuerst auf die Idee mit den Hot Dogs in Berlin kam, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Es war jedenfalls die Zeit nach dem Fall der Mauer. Der Westen brach über den Osten herein wie ein Frühjahrsgewitter. Oder wie ein Herbststurm. Jedenfalls war es eine bewegte Zeit. Und jedenfalls war es kein Amerikaner. Es war ein Deutscher. Wahrscheinlich war er einmal in Amerika zu Besuch. Vielleicht hatte er da immer Hot Dogs gegessen. Was soll man sonst essen in Amerika, wo einem die Kellner ständig drängen, sich zu beeilen und den Platz wieder freizumachen. Aber bei einem Hot Dog auf der Straße hatte man seine Ruhe. Und diese Ruhe vermisste er vielleicht, als er wieder zu Hause war. Und deshalb begann er eines Tages, Hot Dogs zu verkaufen. Vielleicht. HANS W. KORFMANN

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