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Dies Scheitern ist ein Privileg

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin: Sebastian Hartmann inszeniert Christa Wolfs „Geteilten Himmel“ an der Berliner Volksbühne. Szenen aus der Zeit, als alles weltpolitische Bedeutung hatte

von JOCHEN SCHMIDT

Übrigens gibt es ein Buch zu entdecken: „Der geteilte Himmel“, keine Pflichtlektüre in der DDR, und wer hätte es freiwillig gelesen? Aber manche Sätze tun heute, wo es den Osten nicht mehr gibt und der Westen mit sich allein glücklich werden muss, erst richtig weh: „Der Mensch ist nicht dazu gemacht, Sozialist zu sein. Zwingt man ihn dazu, macht er groteske Verrenkungen, bis er wieder da ist, wo er hingehört, an der fettesten Krippe.“

Das sagt Manfred, der (mit 29!) abgeschlossen hatte mit dem privaten Glück, sich in die Wissenschaft zurückzieht und den Rita (19) mit ihrer Liebe und Neugier wieder auftaut. Der junge, brillante Mann, den sie vergraulen und der am Ende Lampenschirme bastelt – ein Klassiker des DEFA-Films („Karla“, „Denk bloß nicht, ich heule“). In Christa Wolfs Roman geht er in den Westen, weil seine Maschine nicht gebaut wird und weil er vieles früh durchschaut hat: als Erstes den Vater, früher Nazi, jetzt Partei und ein intrigantes hohes Tier im Werk. Aber Rita, die an ihren Erfahrungen im Waggonwerk wächst und immer instinktiv entscheidet, kommt zurück aus Westberlin: „Alles wäre leicht, wenn sie dort als ,Kannibalen‘ auf der Straße herumliefen [. . .] Aber sie fühlen sich ja wohl. Sie bemitleiden uns ja. Sie denken: Das muss doch jeder auf den ersten Blick sehen, wer in diesem Land reicher und wer ärmer ist.“ Man kennt das, im Osten kämpfen sie mit bescheidenen Mitteln, aber ein Wissenschaftler will, dass seine Lösungen nicht nur Theorie bleiben. Solange es keine Mauer gab, muss viel Überzeugung dazu gehört haben, zu bleiben. Oder Dummheit, historisch gesehen.

So ein Text schreit nach Dramatisierung, er ist ja nicht umsonst kongenial verfilmt worden. Konnte man wirklich (nach 53, nach 56) noch an eine Öffnung nach innen durch Absicherung nach außen glauben? Das Buch antwortet nicht naiv. Rita trägt die Entscheidung an ihrem Körper aus, sie bricht zusammen und kommt ins Sanatorium. Erst nach der Trennung weint sie tagelang. Überhaupt sind alle sehr ernst, selbst wenn sie albern sind, denn: „Wir sind alle ohne Eltern aufgewachsen.“ Eine politische Generation, in einer Dachkammer glücklich. Eine Zeit, in der man mit 25 schon eine Brigade leitete, in der nichts ohne weltpolitische Bedeutung war: „Sigrid, du musst doch auch die gesellschaftlichen Verhältnisse sehen, die dahinter stehen.“ Vielleicht hat es das nicht gegeben, aber darum geht es nicht in der Kunst. Es geht um das „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“.

Die Story schreit nach Fortsetzung. Heute, wo man zu wissen meint, dass alles viel simpler war: Wenn ich schon in der Scheiße lebe, dann wenigstens nicht wie ein Tier. Wo es wie ein Privileg ist, seine Liebe an einer Grenze zwischen zwei Welten scheitern zu sehen, wenn wir uns einfach so auseinander leben oder uns wegen der Karriere trennen.

Rita bleibt wegen der Menschen, die sie im Werk trifft. Der Typ des selbstlosen Arbeiters, der auch unter den Kapitalisten nicht gepfuscht hätte, die gute Seele vom Betrieb: „Den Sozialismus wollen sie aufbauen und haben keine Sechzehner-Muttern!“ Die DEFA hatte einmal solche Gesichter. Und dann kommt die Jugend und will sich amüsieren. An der Berliner Volksbühne sprechen die jungen Leute die Sätze aus dieser Zeit wie Zungenbrecher. Dabei wirkt es fremd genug, dass einmal auf der Arbeit gekämpft wurde, nicht um die Arbeit. Dass ein Mädchen sagt: „Etwas Schöneres als das Pfeifen unserer Lokomotive, wenn sie aus dem Werk fährt, kann ich mir nicht vorstellen.“

Können wir uns das vorstellen? Hier müsste das Theater übernehmen. Aber nicht, wenn es Konventionen sprengen will und dabei berechenbar wird wie ein Schwank. Man darf Wetten abschließen, wann sie sich ausziehen werden. (Regie: Sebastian Hartmann.)

Es ist sicher eine Leistung, seinen Körper ins Spiel zu werfen und am Ende einer Szene schreiend am Boden zu liegen, aber was lerne ich daraus? Schlimm genug, dass sie in der Oper dauernd singen, warum im Theater nicht einfach schweigen? Nach Sätzen wie „Es gibt gewisse Grenzen“, oder „Darüber wird noch zu reden sein“, oder „Eines Tages werdet ihr es zugeben müssen“, bei denen es einem kalt den Rücken runterläuft. Dafür gibt es ja den Text. Aber wenn er zwischen Großbildleinwand, Lautsprechern und Musik verschwindet, kann man auch gleich Tanztheater machen.

Der Dramatik nicht vertrauen, die besten Sätze hier und da einmontieren, die Frauen als hauchende, lebenshungrige Püppchen, die Männer als tobende Witzfiguren, und die großen Momente mit Musik unterstreichen, damit wir sie bemerken, das ist Kapitulation vor dem Fernsehen. Immerhin, die Schauspieler können nichts dafür. „Cordelia! Tobias! Milan! Wir brauchen doch jeden!“, möchte man ihnen zurufen. Müder Applaus.

Übrigens gibt es ein Buch zu entdecken.

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