■ 336 „Abweichler“ und Reaktionen dazu
: Lächerliche Verlogenheit

betr.: „Kanzler kriegt Vertrauen“ u. a., taz vom 17. 11. 01

Jetzt, wo die Abstimmung gelaufen ist, frage ich mich, ob euer heutiger Aufmacher („Einer wird gewinnen“, taz vom 16. 11. 01) so stimmt. Konflikte auszuhalten und gar zu einem positiven Ergebnis zu führen, das halte ich für Stärke, sie mit harter Hand unter den Teppich zu kehren für Schwäche.

Stark waren die Grünen, weil sie es schafften, zugleich loyal zur Koalition zu stehen und dennoch in aller Deutlichkeit ihren Afghanistan-Standpunkt zu dokumentieren. Nebenher repräsentierten sie – neben Teilen der SPD – als einzige „Volksvertreter“ die tatsächliche Zwiegespaltenheit in unserem Land. Und nicht zuletzt zeigte die symbolische Teilung der acht Stimmen, dass zwei völlig unterschiedliche Fragen vom Kanzler ohne Not verquickt worden waren. Hat er dabei wirklich gewonnen?

Jetzt haben die Grünen zumindest bei mir, nach langer Durststrecke, wieder Sympathiepunkte gewonnen.

WINFRIED SCHNEIDER, Düsseldorf

Ist es nicht befremdlich, dass sich je nach Umfage etwa 50 Prozent der Deutschen gegen diesen Krieg mit seiner völlig unklaren Zielsetzung aussprechen, diese aber nur durch eine unverhältnismäßig kleine Minderheit in unserem Bundestag repräsentiert sind? Und ist es nicht auch befremdlich, dass diese Menschen umgehend von den verschiedensten Seiten „bearbeitet“ wurden, scheinen sie doch völlig abwegige Gedanken zu haben – gilt es doch heutzutage wieder als „politisch nicht korrekt“, nicht für den Krieg zu sein. Ist es nicht befremdlich, dass die gesamte Opposition (PDS ausgenommen) und ein allergrößter Teil der Regierung für eine Teilnahme Deutschlands an einem Krieg stimmen würden? Im heutigen Deutschland, Bringschuld hin oder her, dürfte so etwas nicht möglich sein. [. . .]

ERICH BUCHHOLZ, ULRIKE HAAG, Neuhausen a. d. F.

Ich möchte mich ausdrücklich bei den acht grünen Frauen und Männern bedanken, die von der veröffentlichten Meinung „Abweichler“ genannt werden. „Abweichler“ ist ein negativer Begriff – und so möchte ich diesen Begriff ebenfalls verstanden wissen: Anzuwenden ist dieser Begriff allerdings nicht auf die acht Personen. Abgewichen von ehemals hehren Zielen der SozialdemokratInnen und der Grünen ist die opportunistische Masse der ParteimitarbeiterInnen. ANDREAS SCHUSSLER, Bielefeld

Klasse, ich stimme bei einer Abstimmung dafür, obwohl ich dagegen bin, und dann erzähle ich danach allen, dass ich auch wirklich dagegen bin – welche lächerliche Verlogenheit! [. . .]

SUSAN KUNZE, Groß Glienicke

Also, die Rot-Grünen sind doch nun vollends und endgültig zum Kindergarten mutiert! Spielen Kanzlers und Außenministerles, Indianerles und Kriegsministerles – und jetzt eben auch noch „Knüppel aus dem Sack“. Nicht alle wollen aber mitspielen – der Winni (Hermann) weigert sich und die Irmi (Schewe-Gerigk), und auch der Christian (Ströbele) und die Annelie (Buntenbach) wollen lieber sandeln. „Aber das ist doch blöd – dann sind wir doch zuwenig zum Kriegerles spielen!“, schmollt der Fischers Sepp. Also wird ausgezählt unter den Spielverderbern: Ene, mene – die Irmi muss rein – ene, mene, mu, der Winni darf raus – und wieder zurück in seinen Sandkasten. ANDREA NOLL, Reutlingen

Der Ausgang dieser billigen Inszenierung war ja von vornherein klar, denn bisher sind die Grünen immer umgefallen, wenn sie dafür ein bisschen Macht bekommen konnten. Rückgrat ist für sie schon lange ein Fremdwort, und genau deshalb konnte die SPD sie als eilfertige Vasallen benutzen. Dieses Spiel beherrscht Herr Schröder perfekt, weil er ja selbst so einer ist. [. . .]

HARTMUT BEHRENS, Oberndorf

Für mich sind die Grünen nach dieser erbärmlichen, rückgratlosen Vorstellung politisch tot. Auf Bundesebene werde ich zumindest mein Kreuzchen nie wieder in den grünen Kreis setzen.

[. . .] Nur um die Macht nicht zu verlieren, gibt eine einstmals pazifistische Partei Deutschland ihren Segen, in den Krieg zu ziehen und auch noch das letzte bisschen Moral und Vernunft an eine wahnwitzige amerikanische Regierung zu verpfänden.

JENS BERTHEAU, Düsseldorf

Während NobelpreisträgerInnen, SchriftstellerInnen, MenschenrechtlerInnen, WissenschaftlerInnen international zum sofortigen Ende des Kriegs in Afghanistan aufriefen und JuristInnen unser Parlament zur Achtung des Völkerrechts aufforderten, wurden die letzten HoffnungsträgerInnen im Deutschen Bundestag erpresst, weil der Kanzler ein Machtspiel spielte. [. . .] Was wir gerade hörten und sahen, war eine Entmündigung des Parlaments.

Der Kanzler war nicht gezwungen, er hat die Situation im Parlament selbst erzeugt: Ebenso ohne Not wie ungebeten, hat er wie ein Staubsaugervertreter über Wochen Tag für Tag die militärische Beteiligung Deutschlands angeboten – unsere Männer und Söhne.

Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“ – von Kinderseele an uns im Unterbewusstsein, entlarvt sich dieser Grundsatz damit als Abfall der Papierindustrie. [. . .]

MARLIES JENSEN, Mönkeberg

Wiglaf Droste hatte mal wieder Recht: Die Grünen sind bis jetzt noch durch jeden Reifen gesprungen, den ihnen Schröder hinhielt. Vier „Abweichler“ sind also in letzter Minute umgefallen, um das rot-grüne Projekt nicht zu gefährden. Dabei wäre es so schön gewesen, endlich mit den Schröder’schen Erpressungen Schluss zu machen. Bei Neuwahlen hätten wir wenigstens wieder einen Anschein von Wahl gehabt. [. . .] EMMO FREY, Dachau

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