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Show-Time für „Dany le rouge“

■ Bei der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises blieb Daniel Cohn-Bendit viel Zeit für Polit-Entertainment. Der zweite Preisträger Ernst Vollrath war krank

Zwei Männer, ein Preis: Am Samstag bekamen Daniel Cohn-Bendit und Ernst Vollrath im Bremer Rathaus den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. Hier der omnipräsente grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, dort der vor allem in Fachkreisen bekannte und oft als konservativ bezeichnete Philosophieprofessor Ernst Vollrath – zwei Persönlichkeiten wurden da ausgezeichnet, die trotz aller Verschiedenheit eines eint: Beide stünden für ein antitotalitäres Denken, das öffentliches Handeln mit Politik verbinde, betonte Brigitte Sauzay, Koordinatorin der deutsch-französischen Beziehungen im Bundeskanzleramt, in ihrer Laudatio. Der Begriff der Freiheit sei zentral in ihrem politischen Denken.

So unterschiedlich wie die Ansätze der beiden Preisträger, so verschieden war auch ihre Performance in Bremen. Ernst Vollrath, Jahrgang 1932, musste sich wegen eines Schwächeanfalls von seinem Sohn Christian vertreten lassen. Er verlas die Rede des Vaters – eine nüchterne Auseinandersetzung mit der Denkerin Hannah Arendt und dem von ihr geschaffenen Begriff der „Banalität des Bösen“.

Daniel Cohn-Bendit gab dafür den Entertainer. Jahrgang 45, Sohn deutsch-jüdischer Eltern und halb diesseits, halb jenseits des Rheins aufgewachsen. „Dany le Rouge“, der Rote, heißt Cohn-Bendit wegen seiner Aktivitäten im Pariser Mai 1968. Im Moment sitzt er für die französischen Grünen im Europaparlament. „Ich bin nicht '68. Ich bleibe ich“, erklärte er am Tag der Preisverleihung. Am Abend zuvor aber, als beide Preisträger ihre Vorträge hielten, setzt er sich mit seiner – politischen – Generation auseinander. „Unsere Praxis war eine freiheitliche, unsere Theorie eine Steinzeitsprache.“ Steinzeit, das mag er nicht. Sein rednerisches Fieber ließ ahnen, wie Dany le Rouge einst als wiederauferstandener Danton im Pariser Quartier Latin das studentische Fußvolk auf die Barrikaden und manch braven Citoyen auf die Palme brachte. Cohn-Bendit heute: „Nicht nur bei den Kommunisten, auch bei uns hat es Totalitarismus gegeben.“ Ein Volkstribun ist er immer noch, einer der alternativen Intellektuellen. Seine Rede ein Parforceritt von Vietnam über die Schluchten des Balkan bis an den Hindukusch. „Ich bediene mich zwanglos an den Fleischtöpfen der Geschichte.“

Dann begann er mit dem Austeilen. Er widmete Otto Schily einen Auszug aus dem Denken des „ansonsten intelligenten“ US-Revolutionärs Benjamin Franklin. 1751 seien dem späteren Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung zu viele falsche Migranten ins Land gekommen: „Deutsche, Schweden, Russen, alle waren ihm zu dunkel. Nur die wenigen Engländer und Sachsen galten ihm als Weiße.“

Wenn sich der „geläuterte Straßenkämpfer“ warm gelaufen hat, ereifert sich sein ganzer Körper, und er bläst zum Sturm auf irgendeine Bastille, zumindest eine Zitadelle, die es zu schleifen gilt – sei es die des amerikanischen Neoliberalismus („Akzeptanz dieses irrsinnigen sozialen Gefälles“) oder die des reflexartigen Antiamerikanismus: „Als 50.000 Menschen in Anwesenheit der UN-Blauhelm-Truppen in Bosnien umgebracht wurden, schwiegen wir. Als die Amerikaner Serbien bombardierten, war Hass in unseren Herzen.“ Cohn-Bendit fühlt sich ganz im Recht. „Als wir wegen des Vietnamkrieges gegen die Amerikaner demons-triert haben, war das richtig. Wer gegen ihre Intervention in Bosnien war, hatte Unrecht.“ Je näher die Ereignisse, desto mehr redet sich Cohn-Bendit in Rage. Seine Stimme überschlägt sich: „Bin Laden will das Kalifat. Man kann für die Intervention in Afghanistan sein und sich trotzdem kritisch zur Art der Intervention verhalten.“ Doch es gibt auch Balsam für die geschundene grüne Seele: „Nur eine einzige Weltmacht bringt die Demokratie in Gefahr. Die Aufgabe heißt Europa.“ Tobende Begeisterung beim Publikum, Erschöpfung bei Cohn-Bendit.

Doch es ging nicht nur staatstragend zu in diesen Stunden des Geehrtwerdens. Kurz vor Cohn-Bendits Rede durchzog ein Hauch von Revolte den altehrwürdigen Rathaussaal. Eine kleine Gruppe entfaltet rote und weiße Transparente und verliest hektisch eine Rede gegen den „Friedenspreisträger“: „Er unterstützt den Krieg in Afghanis-tan und hat politische Isolationshäftlinge in der Türkei als Steinzeitsozialisten diffamiert.“ Das ließ Cohn-Bendit nicht auf sich sitzen. „Ich habe mich in einer Live-Sendung für die Freilassung der Gefangenen ausgesprochen“, ereiferte er sich gen Demonstranten, „nicht im warmen Bremen, sondern in der kalten Türkei.“ Thomas Gebel

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