Winterfreuden

Bei den Berliner Erfindertagen präsentierten am Wochenende zahlreiche Tüftler ihre neuesten Ideen

Eine Idee ist wie ein Vogel: Wenn Du sie nicht festhältst, fliegt sie weg, sagt ein Sprichwort. Die Idee von Christina Mau konnte nicht wegfliegen, sie hat sie vielmehr jahrein jahraus zur Winterzeit vor sich hergeschoben: in Gestalt ihres Sohnes Dominik im Kinderwagen. „Er fing immer an zu quäken“, erinnert sie sich. Er wollte Daumenlutschen, doch das war rein technisch nicht möglich, denn die Kinderhand mummelte in einem dicken Fäustling. Die patente Justizangestellte fand sofort eine Lösung. Nach einigen Scherenschnitten und Nadelstichen war der Daumenlutscherhandschuh geboren.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Christina Mau mit Erfindungen nicht viel am Hut gehabt. Doch mit Patentrecht hatte sie auf Berufswegen schon einmal zu tun: „Ich wusste, dass man Erfindungen auch klauen kann“, argwöhnt sie. Also investierte sie 2.400 DM in einen Gebrauchsmusterschutz, einer Vorstufe zum Patent, um vor Wirtschaftsspionage gefeit zu sein.

Mittlerweile ist sie voll im Geschäft: rauchend sitzt die junge Frau hinter ihrem Präsentationstisch bei den Berliner Erfindertagen im „Haus Ungarn“, vor sich einen Blumentopf, einige Info-Broschüren und einen Teller voller Weihnachtskekse. Ihre Erfindung, der Fäustling mit abknöpfbarem Daumenteil, wird gerade etwas umständlich von einem Vollbärtigen beäugt. „Ich habe nicht gedacht, dass diese Sachen so wichtig sind“, staunt der ratlos: Seine Kinder sind zum Glück schon zu alt für sowas.

Christina Mau glaubt dagegen nicht, dass ihre Erfindung dem Streben besorgter Eltern entgegenlaufen könnte, ihren Sprößlingen die zahnschädigende Fingergymnastik abzugewöhnen. Der Handschuh sei schließlich nur für Kinder zwischen drei und vier Jahren geeignet: „In dieser Zeit ist das Daumenlutschen als Seelentröster am wichtigsten.“ Außerdem – sie beugt sich vertraulich vor – außerdem habe sie zu Hause ein Buch von einem Doktor der Naturheilkunde, der befürworte das.

Auf den Erfindertagen konnte das interessierte Publikum am Wochenende die Früchte der neuen Daniel Düsentriebs bestaunen: ob Katamaran mit Fahrradantrieb, Elektro-Turbine, die von der Meeresströmung angetrieben wird oder ein Notenheft mit neuartiger Faltung zum besseren Umblättern: der Berliner Erfinderclub gab den Tüftlern Raum. Umtriebig streunte vor allem das Fachpublikum mit Aktentasche durch die Ausstellungsräume, um mit den Kollegen über die neuesten Entwicklungen fachzusimpeln.

Heino Hanisch ist bereits ein alter Hase. Breitbeinig steht er im lindgrünen Anzug vor seinem Stand im ersten Stock. Gelegentlich kommen schüchterne Jungtüftler vorbei, denen Hanisch gern unter vier Augen ein paar Tipps vermacht. Der kleine Mann ist ein Multitalent: er hat vier Berufsabschlüsse und kann nebenbei noch drei Semester Bauwesen und zwei Semester NVA-Offiziersschule vorweisen. Seine Erfinderleidenschaft begann bereits im Kindesalter: „Ick hab mir schon als Kind aus Grünkohl Bäume für meine Indianer jeschnitzt“, lässt er wissen. Aktuell präsentiert er gerade einen ultraleichten Schlafsack, der auf dem Prinzip einer Rettungsdecke beruht: eine Spezialfolie isoliert die Körperwärme im Inneren. 1994 habe er bibbernd in einem ALDI-Schlafsack in Skandinavien gelegen, über Nacht war die Neuentwicklung skizziert.

Seine zweite Erfindung, die am Nebentisch von der Ehefrau präsentiert wird, erfreut sich fast noch mehr Beliebtheit bei den Messebesuchern: Ein unscheinbares Fläschchen mit einer geheimnisvollen Tinktur, der Pheromonverstärker PA 37. Pheromone sind die Sexuallockstoffe des Menschen. Hanisch braut in Heimarbeit das Wässerchen, das das andere Geschlecht verzaubern soll. „Ich hab es selbst unter Aufsicht meiner Frau getestet“, raunt der Erfinder und grinst schelmisch. Der Erfolg sei durchschlagend gewesen.

MICHAEL DRAEKE