: Kitas sollen in schlanke Hände
Freie Träger sollen bis zu 70 Prozent der Kindertagesstätten betreiben, der Rest soll eine neue Rechtsform bekommen
Die künftige Ampelkoalition wird den Wohlfahrtsverbänden einen langgehegten Wunsch erfüllen: Die Verbände, zu denen neben kirchlichen Organisationen auch die Arbeiterwohlfahrt, das Rote Kreuz und der Paritätische Wohlfahrtsverband gehören, sollen künftig bis zu 70 Prozent der Kindertagesstätten der Stadt betreiben. Denn das ist schlicht billiger. Derzeit sind in Berlin nur ein knappes Drittel der insgesamt rund 136.000 Kitaplätze in freier Trägerschaft – und damit weit weniger als in vielen westdeutschen Städten. Die restlichen der bislang bezirklichen Kitas sollen als Verein, Eigenbetrieb oder gemeinnützige GmbH organisiert werden.
Dass die Wohlfahrtsverbände einen Teil der bezirklichen Kitas übernehmen sollen, ist seit langem beschlossene Sache. Bislang aber strebte die SPD einen Anteil von 50 Prozent an, wenn auch mancher Genosse wie die FDP für eine gänzliche Privatisierung zu haben wäre. Bei den Grünen hieß es noch in der vergangenen Woche, mit der 50-Prozent-Lösung seien sie einverstanden.
Entscheidend dafür, so die grünen Sozialpolitiker, sei aber nicht nur das Finanzargument. Auch die Qualität bei den freien Trägern sei häufig besser. Während bei den Wohlfahrtsverbänden der Finanzrahmen klar festgelegt sei, würden die Bezirke aus eigener Finanznot häufig nach immer weiteren Sparmöglichkeiten suchen. Zudem könnten die freien Träger ihr Personal frei auswählen. Die bezirklichen Kitas müssen sich aus dem Überhang bedienen und damit manchmal Erzieherinnen einstellen, die die Ansprüche eigentlich nicht erfüllen.
Dennoch dürfte die Entscheidung von SPD, FDP und Grünen vor allem die Haushälter freuen. Diese sehen ein Einsparpotenzial im dreistelligen Millionenbereich. Denn während die städtischen Kitas zu hundert Prozent von den Bezirken finanziert werden, müssen die Wohlfahrtsverbände einen Eigenanteil von neun Prozent erbringen. Ob sie den durch Spenden, Eigenleistungen der Eltern oder Sparen erwirtschaften, ist ausschließlich ihr Problem.
Aber auch wenn man diesen Eigenanteil außen vor lässt, sind die Wohlfahrtsverbände billiger. Das zeigt eine Untersuchung der Finanzverwaltung, die die Kosten für eine Betreuungsstunde in Krippen, Kitas und Horten zwischen öffentlichen und den freien Trägern verglichen hat. Das Ergebnis: In allen drei Bereichen arbeiten die freien Träger kostengünstiger, am größten ist die Differenz mit 2,83 Mark pro Platz und Stunde bei den Krippen für die unter Dreijährigen.
Für Martin Hoyer, Kita-Referent beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, gibt es dafür vor allem zwei Gründe: die schlankere Verwaltung der Wohlfahrtsverbände und ein konkreter Finanzierungsunterschied: Anders als bei den bezirklichen Kitas werden bei denen in freier Trägerschaft keine Planplätze finanziert, sondern nur solche, die auch wirklich belegt sind. Hinzu kommt, dass das Personal billiger ist. Denn die Wohlfahrtsverbände orientieren sich zwar an den Tarifen des öffentliches Dientes, ihre Löhne liegen aber häufig darunter.
Schon deshalb ist klar, dass die GEW gegen eine Übernahme der bezirklichen Kitas durch die freien Träger ist. Schließlich müssten die Beschäftigten mit dorthin wechseln. Die Kita-Referentin der Gewerkschaft, Bärbel Jung, verweist aber auch auf das gesetzlich festgeschriebene Wahlrecht der Eltern: „Und die entscheiden sich in Berlin eben sehr häufig für die bezirklichen Einrichtungen – das hat hier Tradition.“ Das liege auch an den längeren Öffnungszeiten der öffentlichen Kitas. Diese können bei einer Übernahme durch die freien Träger allerdings vertraglich festgeschrieben werden.
Skeptisch sind auch die Eltern. Burkhard Entrup, Vorsitzender des Landeselternausschuss Berliner Kindertagesstätten (LEAK), befürchtet, dass sich die freien Träger künftig die Kinder auswählen können. „Dann besteht die Gefahr, dass sie Eltern aussuchen, die gut verdienen.“ Schließlich seien die Beiträge der Eltern vom Einkommen abhängig. Ein solche Auswahl, so Entrup weiter, sei schon jetzt zu beobachten. SABINE AM ORDE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen