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auf fremden plätzenJeunesse Sportive de Kabylie gewinnt CAF-Pokal

Allah spielt Fußball

Allah ist den kleinen Sündern wohlgesonnen. „O Gott, hilf uns“, schrien die knapp 100.000 Anhänger der algerischen Fußballmannschaft Jeunesse Sportive de Kabylie (JSK) die letzten 20 Minuten des Final-Rückspiels um den Pokal des Afrikanischen Fußballverbandes (CAF) in Algier immer wieder. Und, o Wunder, sie wurden erhört: Zunächst erhielt der beste Spieler des tunesischen Gegners Étoile Sportive du Sahel, Stürmer Abdelkader Keita, eine Rote Karte wegen Tätlichlichkeit, dann faustete der eigene Torwart Gaouaoui einen schier unhaltbaren Ball übers Tor. Und schon beim Treffer in der 28. Minute hatte Allah wohl seine Hand im Spiel, als Stürmer Zaffour den Torwart der Tunesier einfach umrempeln durfte, bevor er das Leder im Kasten versenkte.

Bei Abpfiff stand es somit also 1:0 für Titelverteidiger JSK. Ein knappes, aber ausreichendes Ergebnis, denn das Hinspiel hatte 1:2 geendet, was der JSK nun den fünften afrikanischen Titel seit 1981 (ein Pokal der Pokalsieger sowie vier CAF-Pokale) einbrachte. „Allahou Akbar“ – Gott ist groß, hallte es danach dankbar durchs „Stadion 5. Juli“. Dabei hatten die JSK-Fans davor alles getan, um Allah zornig zu stimmen. Bereits um die Mittagszeit erreichten zehntausende Fans das Stadion auf den Hügeln der algerischen Hauptstadt. Von überall aus der Kabylei waren sie in Kleinbussen gekommen. Eine Zigarette, ein Schluck Wein oder ein spärliches Vesper halfen über das Warten hinweg. Eine normale Szene, wäre es nicht mitten im Fastenmonat Ramadan.

Bei den wenigen Fans aus Algier selbst bestätigten sich damit einmal mehr die alten Vorurteile gegen die Kabylen: Ungläubige, Separatisten – das sind nur zwei der Vorwürfe, denen sich die Berber immer wieder ausgesetzt sehen. Vor allem, da seit April dieses Jahres die Unruhen in der Kabylei nicht abreißen wollen. Nachdem die Gendarmerie einen Jugendlichen auf der Wache erschossen hatte, kannte die Wut keine Grenzen mehr. Alle staatlichen Gebäude wurden niedergebrannt, zweimal zogen hunderttausende in die Hauptstadt Algier, um auch hier ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Mit trauriger Folge: Knapp hundert Jugendliche haben die Auseinandersetzungen mit Gendarmerie und Polizei seit April mit dem Leben bezahlt.

„Pouvoir assassin!“ (Mörderregime) und „Ulac smah ulac“ (Kein Pardon) hallten auch diesmal wieder die Parolen der Rebellion durchs Stadion. Viele JSK-Fans trugen Porträts des 1998 unter ungeklärten Umständen ermordeten Protestbarden aus der Kabylei, Lounes Matoub – „der Rebell“ –, mit sich. Nur einmal kehrte auf den Rängen Ruhe ein, als das ganze Stadion sich von den Plätzen erhob, um der Opfer der Überschwemmungen zu gedenken, die vor zwei Wochen in Algier über 900 Menschenleben gefordert hatten.

Die Kommentatoren des staatlichen Rundfunks überhörten die Protestparolen hingegen gelassen. Als „Botschafter des algerischen Fußballs“ lobten sie die Berberkicker immer wieder, keiner will mehr an das vergangene Frühjahr erinnert werden, als JSK wegen der Vorfälle im April beinahe aus der algerischen Liga ausgestiegen wäre. Nun war den staatlichen Sprechern klar: Algerien braucht keine Debatten, sondern ein positives Ereignis, um die Naturkatastrophe und vor allem die staatliche Untätigkeit in den darauffolgenden Tagen vergessen zu machen. Und was wäre dazu besser geeignet als der Fußball?

„JSK hat uns das Lächeln zurückgegeben“ schrieb am nächsten Tag denn auch eine der großen Tageszeitungen des Landes. Und Präsident Abdelaziz Bouteflika, der wenige Stunden vor dem Spiel bei einem Blitzbesuch im Unglücksgebiet, dem Arbeiterstadtteil Bab el-Oued, noch ausgebuht worden war, schloss sich demonstrativ der nationalen Euphorie an – bei der Pokalübergabe achtete er darauf, stets im Bild zu sein.

Auf den Rängen feierten die Fans der „Kanarienvögel“, wie die JSK-Spieler wegen der Vereinsfarben genannt werden, derweil auf ihre Art. „Bab el-Oued“ (Märtyrer) riefen sie immer wieder, eine Parole, die älter ist als die Überschwemmung: Sie gedenkt der hunderten von Jugendlichen, die 1988 im ärmsten Stadtteil Algiers ihr Leben verloren, als die Armee versuchte, die Jugendrebellion niederzuschlagen, die dem Einparteiensystem ein Ende bereitete. Und beim Auszug aus dem Stadion verabschiedete sich die Berberjugend von den massiv aufgezogenen Uniformierten mit einem kleinen Lied: „Lasst uns doch nach Barcelona, um dort zu leben, dann habt ihr Algerien ganz alleine für die Polizei.“ REINER WANDLER

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