: Der Stummel als Prothese
ADFC fordert, Radwege, die nur über Kreuzungen führen, aufzuheben. Gerichtsurteil macht Hoffnung ■ Von Gernot Knödler
Das sind die Gelegenheiten, die RadlerInnen jeden Tag aufs neue an der Gerechtigkeit zweifeln lassen: Sie fahren eine Straße entlang, weit und breit kein Radweg zu sehen. Kurz vor der nächsten Kreuzung werden sie plötzlich auf den Gehsteig gezwungen, kurz danach müssen Sie sich wieder in den Autoverkehr einfädeln. „Das führt zu gefährlichen Verkehrssituationen und ist für Radfahrer, die auf der Fahrbahn fahren wollen, obendrein unattraktiv und zeitraubend“, sagt Stefan Warda vom Fahrradclub ADFC. Ein Beispiel dafür ist der Eppendorfer Weg an der Kreuzung mit der Fruchtallee.
Der ADFC fordert deshalb, dass diese „Stummelradwege“ abgeschafft werden. Er stützt sich dabei auf ein neues Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts und nützt die Gelegenheit, dass Verkehrssenator Mario Mettbach (Schill) zurzeit die Ampelschaltungen überprüfen lässt. Die geforderten Änderungen könnten im Rahmen möglicher Umprogrammierungen kostengünstig mit erledigt werden.
Seit dem 1. Oktober 1998 ist die Radwegebenutzungspflicht grundsätzlich aufgehoben. Sie gilt lediglich, wenn ein Radweg als solcher ausgeschildert wird. Die Innenbehörde hält das in der Regel dann für nötig, wenn auf der Straße mehr als 15.000 Autos täglich fahren. Voraussetzung für eine Benutzungspflicht ist allerdings, dass der Weg bestimmte Voraussetzungen erfüllt, etwa mindestens 1,50 Meter breit, glatt und übersichtlich ist.
Nun haben die Innen- und die Baubehörde die Benutzungspflicht an verschiedenen Ampelkreuzungen dazu benutzt, den Autoverkehr auf Tempo zu halten. Denn eine RadlerIn, die bei gelb auf eine Kreuzung fährt, muss diese vollständig überquert haben, bevor der Querverkehr grünes Licht bekommt. Dafür müssen die VerkehrsplanerInnen mehr Zeit einrechnen als bei AutofahrerInnen, was wiederum zu längeren Wartezeiten für AutofahrerInnen führen würde. Sie lenkten die RadlerInnen also auf den Gehsteig-Radweg, wo sie sich an der Fußgänger-Ampel orientieren müssen, und danach wieder auf die Straße.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat diese Praxis jetzt für rechtswidrig erklärt (Az. 27 A 206.99). Die Radwegebenutzungspflicht an Kreuzungen könne nur aufgrund einer besonderen, das allgemeine Risiko für die Verkehrssicherheit erheblich übersteigenden örtlichen Gefahrenlage angeordnet werden. Die Absicht, eine Verkürzung der Grünphase zugunsten eines schnelle fließenden Autoverkehrs zu verhindern, reiche nicht aus. Wegen des Urteils hätten „Radfahrer gute Aussichten, mit Widersprüchen bzw. Klagen“ eine Abschaffung der Stummelradwege und die entsprechende Umprogrammierung der Ampeln zu erreichen, erklärte der ADFC. Von der Vekehrs- und der Innenbehörde war gestern dazu keine Stellungnahme zu erhalten.
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