: John Cale – eine Legende altert in Würde
Montagabend vor der Kesselhalle des Schlachhofes: Bis nach draußen hört man die charakteristische, kantige Gitarre und die große Stimme John Cales. Auf der Bühne dann das gewohnte Bild: Cale an der Gitarre auf einem Barhocker, hinter ihm der Flügel. Spartanische Beleuchtung, die auf sein Geheiß hin, „it fries me“, noch ein wenig gedämpft wird. Ebenfalls von ihm angeordnet wurden die Bestuhlung, das Rauchverbot und beinahe auch ein Trinkverbot. Zumindest ein Zapfhahn durfte dann doch in Betrieb genommen werden. (Ihm selbst wurde nach jedem Song ein Becher heißes Wasser mit Honig gebracht). So schleicht sich die E-Kultur dann im Alter – John Cale wird nächstes Jahr 60 – doch in die U-Musik.
Der Konflikt zwischen E(rns-ter) und U(nterhaltungsmusik) und die erfolgreiche Aufhebung ihrer künstlichen Grenzen, ja Hierarchien bestimmen das Werk und das Leben John Cales. Bevor er bei The Velvet Underground die elektrisch verstärkte Viola im wahrsten Sinne des Wortes: kratzte, hatte er bereits eine klassiche Ausbildung an diesem Instrument absolviert und jahrelang in New Yorks Avantgardezirkeln praktiziert. Er war nicht nur bei John Cages neunstündiger Uraufführung von Eric Saties „Vexations“ einer der neun Pianisten, sondern auch Mitglied von LaMonte Youngs legendärem Minimalismus-Ensemble Theater of Eternal Music bzw. The Dream Syndicate. In dessen Umkreis entwickelte er mit Leuten wie Tony Conrad und dem kurzzeitigen Velvet-Drummer Angus MacLise den 'Just Intonation Drone', Minimalismus in seiner kompromisslosesten Form.
Und genau das brachte er dann in die wahrscheinlich einflußreichste Rockband aller Zeiten ein. Ohne ihn wären The Velvet Underground eine aufregende Begleitband für Lou Reed, den zweiten Kopf der Gruppe, gewesen aber kaum Vorbild für nahezu alles, was seitdem an Rock und Punk in New York entstanden ist.
Cales Solo-Karriere, die auf die Zeit bei Velvet Underground folgte, war über weite Strecken eine rockige, obwohl er den Rock, nach eigenen Worten, hasste. Es ist diese Hassliebe , die seinen Songs die Schärfe gibt. In den letzten zehn Jahren allerdings gab es nur eine, viel zu glatt arrangierte Platte mit neuen Songs. Insofern ist es also nicht weiter verwunderlich, dass das Schlachthofkonzert überraschungsarm verlief. Die Schreiausbrüche und die Attacken, denen er Klavier, Gitarre und vor allem seine Songs aussetzte, sind lange vergangen.
Eher löst er vertraute Songs in impressionistischen Improvisationen auf, wie an diesem Abend Elvis' „Heartbreak Hotel“, das längst Cales „Heartbreak Hotel“ geworden ist, und „Fear Is A Man's Best Friend“ – übrigens inklusive Ravel-Zitat. Womit wir wieder bei der leidigen Unterscheidung zwischen E und U wären. Und bei der geglückten Aufhebung. Nach langem, frenetischem Applaus gibt es ein kurzes „Close Watch“ in der zweiten Zugabe und eine weitere Verbeugung. Fehlt nur noch der Vorhang und die Blumen. Dieter Wiene
Foto: Michael Jungblut
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen