: Den Fußball-Künstlern fehlt die Kunst
Auch im Vergleich mit dem 1. FC Kaiserslautern ist Borussia Dortmund nicht die bessere Mannschaft, gewinnt aber 3:0
DORTMUND taz ■ Spitzenmannschaften, so sagt eine der neueren Fußball-Weisheiten, erkennt man daran, dass sie auch an schlechten Tagen gewinnen. Sollte das stimmen, dürfte eigentlich niemand mehr in der Tabelle vor Borussia Dortmund stehen. Der BVB zählt nämlich seine eher dürftigen Auftritte schon längst nicht mehr nach Tagen, sondern nach Wochen – und fährt dennoch beharrlich Sieg auf Sieg ein. Die letzte Partie, in der die Dortmunder wirklichen Spielwitz zeigten und zu mehr als nur einer Hand voll Torchancen kamen, war die beim FC St. Pauli vor knapp zwei Monaten. Seitdem rumpelt die Künstlerkolonie in Schwarz-Gelb uninspiriert durch Deutschland und Europa und ist im Verlauf der Tournee zu einer Erkenntnis gelangt, die man bislang eher dem FC Bayern zuschrieb: Wem die Fantasie abhanden kommt, der muss seinen Lebensunterhalt eben mit Malen nach Zahlen bestreiten und auf Eingebung warten.
Der jüngste Leidtragende dieser neuen Dortmunder Kaltblütigkeit ist der 1. FC Kaiserslautern. Am Sonntag unterlagen die Pfälzer im Westfalenstadion mit 0:3, und ihr Trainer Andreas Brehme brummelte anschließend beleidigt: „Diesen Sieg haben die Dortmunder nicht verdient. Wir waren nach der Halbzeit die bessere Mannschaft.“ Da lächelten viele der Umstehenden. Denn erstens klang das wie der Refrain des Gassenhauers, den auch schon Offizielle aus Stuttgart, Cottbus, München und Kopenhagen in diesem Monat zum Besten gegeben haben. Zweitens schien es angesichts der vergangenen Wochen geradezu folgerichtig, dass die Borussen nicht während der ersten Hälfte trafen, in der ihr Pass- und Laufspiel zwar bleiern, aber immerhin kontrolliert war, sondern erst dann, als sie auch den Rest von Spielkultur verloren hatten. Bezeichnenderweise war es ein hanebüchener Querschläger von Oliseh, der das 1:0 durch Ewerthon einleitete (77.).
„Wir müssen im Moment über den Kampf kommen“, gab der abgekämpfte Christoph Metzelder im Anschluss zu und lobte „Willen und Leidenschaft“ seiner Elf. Das Skurrile an dieser Situation ist, dass es vor kurzem noch so schien, als hätten die Investitionen des BVB eben jene klassischen Komponenten des Ruhrgebiet-Fußballs auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt. Zaubern sollten die Rosickys und Amorosos, nicht tumb ackern. Sorgen machte da nur die Frage, ob die Fans den neuen Stil annehmen würden. Gerade die aber starren im Moment am ungläubigsten auf den Rasen und fragen sich, wann aus dem alten, grätschenden BVB wieder der neue, filigrane wird.
Es könnte die entscheidende Frage der Saison werden. Wenn nämlich ein enorm unter seinen Möglichkeiten agierender BVB den Anschluss an Bayer und Bayern hält, was wird dann erst, wenn Dortmund in Form kommt? Bis es so weit ist, wird der BVB die Punkte wohl weiterhin mafiamäßig klauen. So viel deutete jedenfalls Amoroso an: Nachdem er Ewerthons Treffer zwei weitere hinzugefügt hatte (86./ 90.), sprach er davon, dass „die brasilianische Cosa Nostra“ wieder zugeschlagen habe.
ULRICH HESSE-LICHTENBERGER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen