piwik no script img

Von Brückenbau und Weiberstudium

Verbindungsfernsehen aus Island und anderswo: „Blasmusik und Brücken“ und „Maillarts Brücken“ (23 Uhr, WDR)

„Ein Lied kann eine Brücke sein“, röhrte in den 70ern die Neckarbrückenbluessängerin Joy Flemming. Brücken verbinden also genau wie es Musik kann, wollte uns die Rockröhre damit sagen.

Anschaulich demonstriert das der isländische Filmer Bödvar Bjarki Pétursson in seinem 1997 entstandenen Dokumentarfilm „Blasmusik und Brücken“: Während ein Komponist und Dirigent eine aus älteren Herren bestehende Blasmusikkapelle in Reykjavík instruiert, wird zeitgleich eine neue Brücke über einen reißenden Strom im wüsten Inland konstruiert und gebaut.

Der Schlagzeuger dieser dann auch „Old Boys“ geheißenen Truppe, die noch immer ihre eigenartigen orangefarbenen Phantasieuniformen aus dem 50er-Jahren trägt, spricht über den Aufbau diverser Schlagzeugwirbel. Und irgendwo da draußen in Schnee und Sturm steht ein Brückenbauer an der Baustelle und bemerkt trocken, dass da etwas nicht funktioniert habe: Zwei zerfetzte Brückenpfeiler ragen mahnend in die Höhe. Beunruhigt wirkt er nicht. „Das müssen wir wohl noch einmal versuchen.“

An der Baustelle gibt es auch eine Art fahrbare Kantine, im Bauwagen. Da wohnt die Köchin, die die Brückenbauer in der Abgeschiedenheit versorgt. „Wie fühlst du dich, wenn du immer unterwegs bist?“, fragt es im Off. „Ja ja, wir sind viel unterwegs, wie die Zigeuner.“ Aber das sei kein Problem, meint sie, man träume ja wenigstens immer dasselbe.

Doch der Dirigent der Blaskapelle möchte nicht immer dasselbe tun und reist nach Österreich, wo sein neues Werk von einem großen Orchester aufgeführt werden soll: eine moderne Komposition mit opernhaft gesungenen Bibeltexten. Ein bisschen enttäuscht ist er, dass er im Alpenland keinen überwältigenden Empfang bekommt. „Die Musiker haben erst gestern in die Noten geschaut,“ bemerkt er gekränkt. – Dafür klappt es zu Hause wenigstens mit einem Brückenumbau.

Warum die Vergrößerung überhaupt nötig sei, möchte der Dokumentarfilmer wissen. „Die einspurige Straße soll zweispurig werden, damit keine Tiere vor die Autos laufen“, murmelt der Bauleiter. Und außerdem sei sie anders als die Brücken zuvor. Etwas gewunden nämlich, nicht geradeaus, wie sonst. Und während er das sagt, wirbeln in Reykjavíks Opernhaus Cancan-Tänzerinnen auf der Bühne umher und ein Mann mit einer Rose im Knopfloch singt: „Ja, das Studium der Weiber ist schwer.“

Vielseitigkeit ist gefragt in Island. Und ganz am Schluss, wenn die Brücken endlich fertig gestellt, renoviert oder zweispurig ausgebaut sind, verbinden sich Musik und Brücke in diesem kurzweiligen Dokumentarfilm zu einer Einheit, zu einer kleinen chaotischen Brückensinfonie.

In Deutschland dagegen ist Konsequenz gefragt. Heinz Emigholz hat seine Filmsprache in den 70er-Jahren, in der Zeit des Experimentalfilms ausgebildet. Seine Brücken verbinden erst mal nichts. Er zeigt in „Maillarts Brücken“ vierzehn Konstruktionen des eigenwilligen Schweizer Brückenbauers Maillart in kurzen Stills aus verschiedensten Perspektiven. Heißt: jeder sieht und rekonstruiert sie anders. Der Ausschnitt und die Begrenzung des eigenen Blickwinkels verbindet die Zuschauer. Das kann Brücken bauen, muss aber nicht.

WOLFGANG MÜLLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen