: Maschine träumt Lieder
■ Konzert und Diskussion: Das 11. Festival der „projektgruppe neue musik bremen“ widmet sich maschinischen Verfahren in zeitgenössischer Musik
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen, fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
(Eichendorff)
„Die Vergangenheit war eine einzige Stille. Im 19. Jahrhundert entstand mit der Erfindung der Maschinen das Geräusch. Heutzutage herrscht das Geräusch unumschränkt über die menschliche Empfindung.“ Mit diesen Worten beginnt ein Manifest des italienischen Futuristen Luigi Russolo von 1913. Einem gewissen Technoromantizismus verhaftet, versuchte Russolo, die Musik mit der industrialisierten und urbanen Gegenwart zu verbinden. Er erfand Musikmaschinen, suchte das Klangrepertoire der europäischen Musik, namentlich des Orchesters, um zeitgemäße „Farben“ zu erweitern.
Auch wenn sich Russolos Klangerzeuger nicht haben durchsetzen können – heutzutage sind sie kaum mehr als Raritäten –, mag der Italiener als „Prophet jeder wirklich zeitgenössischen Musik, Urbild des urbanen DJs, usw.“ (Johannes Ullmaier) gelten.
Es geht um mehr als einfach nur um Krach, der im Kunstraum der Musik auch gehört werden will. Nicht zuletzt wegen elektronischer Verfahren zur Klangerzeugung, hat sich die Musik in den letzten bald hundert Jahren verändert. Vielleicht ist es die Stadt, die Urbanität als Bezugspunkt von Musik, die dazu führte, dass gerade diese elektronischen Verfahren immer wieder zu Überschneidungen von E- und U-Musik führten.
Musikalisch ist die Technik angenehm neutral. Ihr ist es egal, ob Samples, ob synthetische Klänge die Gattung des Streichquartetts erweitern helfen oder als Grundierung eines TopTen-Hits gebraucht werden.
Musikalische Praxis, aber auch Ästhetik und Theorie haben sich seit Russolo verändert. „Machinations / Imaginations“ lautet der Titel der diesjährigen Musiktagung mit integrierter Konzertreihe, die die bremer „projektgruppe für neue musik“ am kommenden Wochenende veranstaltet. Immer wieder wurde mit einer Reihe namhafter, manchmal auch schräger Gäste darüber diskutiert, wie Topoi zeitgenössischer Philosophie in Neuer Musik reflektiert werden. Die Themen der letzten Jahre sind fürwahr keine Kleinen: Raum, Körper, Erinnerung, Mythos. Der Untertitel der diesjährigen Tagung mag eine Richtung vorgeben. „Musik erfinden mit maschinischen Verfahren“. Es geht also nicht darum, aus was für tollen Maschinen man diese oder jene abgefahrenen Sounds rausholen kann. Der Ansatz ist ein anderer. Es geht darum, wie man Musik erfindet, neu erfindet, vielleicht auch, wie sie sich selbst erfindet.
Der Begriff des Maschinischen geht auf das französische Theoretiker-Doppel Deleuze/Guattari zurück – und wird von beiden deutlich gegen die „traditionelle Entgegensetzung Mensch-Maschine“ abgegrenzt. Auch sei er nicht allein metaphorisch zu verstehen. Mit dem Maschinischen fragt vor allem Guattari nach Strukturen, danach, wie komplexe „Gefüge“ aller Art organisiert sind. Als sinnfälligstes Beispiel dient die Stadt, die als „Mega-Maschine“ begriffen wird. Womit wir wieder bei der Urbanität wären. Wie verändert sich vor diesem Hintergrund kompositorisches Denken?
In bewährter Manier wurden Gäste geladen. Klassiker wie Klavierstücke von Ligeti oder Xenakis mit ihrer Affinität zu mathematischen Verfahrensweisen treffen auf Ränder der Neue-Musik-Szene. Auf Performer und Live-Elektroniker wie John D.S. Adams oder Bernhard Lang. Bliebe nur anzumerken, dass elektronische und maschinische Verfahren so ganz ohne (im weitesten Sinne) Pop vielleicht nicht hinreichend fassbar sind. Kraftwerk zum Beispiel oder der Tokyoter Noiseelektriker Merzbow. Auch die Detroiter Technolegende Jeff Mills wär sicher eoloquent genug, sich an einem der Podiumsgespräche zu beteiligen. Sei's drum.
Ein Höhepunkt dürfte neben den drei Kammerkonzerten in der Galerie Rabus das Musiktheaterstück „Machinations“ für Stimmen, Live-Elektronik und Videoprojektion sein. Der 1945 geborene französische Komponist fragt am Sonnabend um 21 Uhr im Jungen Theater, Güterbahnhof, – über den Umweg Klang(veränderung) – gerade nicht danach, wer nun Recht hat, Mensch oder Maschine. Sprache und Stimme, aber auch archaisches Klangmaterial wie Blätter, Steine, Knochen oder Haare werden akustisch (und optisch) reproduziert – nachdem sie durch die Verwandlungsmaschine des Computers gejagt wurden. Mit ungewissem Ausgang. Jedenfalls ein sinnlich erfahrbarer Beitrag zu Guattaris Forderung, die Maschine neu aufzufassen.
Tim Schomacker
„Machinations / Imaginations“ findet vom Freitag, 30. November, bis Sonntag, 2. Dezember, in der Galerie Katrin Rabus und an anderen Orten statt. Nähere Informationen zum Programm sind im Tagungsbüro unter 3399350 bzw. unter www.pgnm.de erhältlich. Zur Tagung erscheint ein Reader.
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