: Spürhunde im Keller
Künstlerische Sinnstiftung und submediale Detektivarbeit: Der Kulturtheoretiker Boris Groys in Hamburg zu Gast ■ Von Alexander Diehl
Zeugt es von mehr als bloßer Vorsicht, selbst die Gastgeber der hiesigen Freien Akademie der Künste über die Inhalte oder das Thema seines heutigen Vortrags in weitgehender Unkenntnis zu belassen? Hatte es mit Verschwörung zu tun, dass er seinen Rektorenposten an der Wiener Akademie der bildenden Künste nach Querelen mit seinen Karlsruher Noch-Arbeitgebern wieder verlassen musste? Unter Verdacht, der Titel des letzten Buchs des Medientheoretikers, Philosophen und Mathematikers Boris Groys, scheint vor dem Hintergrund der vergangenen drei Monate beinahe bemüht auf Brisanz aus zu sein.
Doch erschienen ist, das betonen in ihrer Ankündigung die Veranstalter des morgigen „Philosophischen Cafés“, das Boris Groys zu Gast hat, dessen Phänomenologie der Medien (so der Untertitel) bereits im Frühjahr 2000 und wartet daher auf dem Einband nicht mit wohlwollenden Worten von Peter Scholl-Latour zum Ende der Spaßgesellschaft auf. Und der „furiose Versuch“ (Die Woche) handelt auch nicht von unauffälligen TU-Studenten oder den jüngeren Diskursen zur Inneren Sicherheit, die nach dubiosen Kriterien ganze Bevölkerungsgruppen unter, eben, Verdacht stellen. Er habe den Leser an „crime fiction“ denken lassen wollen, so Groys, „an Hitchcock oder spektakulären, investigativen Journalismus“.
An die nicht selten irrationalen Feindbilder sich verschanzender (Staats-)Gebilde oder Individuen indes mag der Autor gedacht haben, als er Mitte Oktober in einem Interview feststellte: „Ersetzt wurde die Dialektik von expliziter Macht und Verbrechen durch den Verdacht der Verschwörung.“ (taz, 17.10.01) Entgegen der zuweilen grotesken Inszenierung von zum Beispiel Ussama Bin Laden als Superbösewicht weiß Groys: „In unserer Kultur ist die Figur des großen Verbrechers obsolet. Seine Stelle hat der große Verschwörer eingenommen.“ Eine „mediatisierte Welt“ findet ihre unheimliche Entsprechung – wo sonst – im eigenen „Keller“, wo der „submediale Raum“ beziehungsweise das „Submediale“ beginnt. Dort, so Groys, „operiert die Macht im Modus der Verschwörung“.
Der Bogen spannt sich dabei von terroristischen Praktiken und ihren geheimdienstlichen Gegenmächten bis hin zu den Strategien der zeitgenössischen Kunst“. Dieser submediale Raum bildet in einer Art weitergeschraubter ontologischer Seinsfrage den Gegenstand der Medientheorie (und also der „Weltbetrachtung“): „Die Medienontologie fragt danach, was sich hinter den medialen Zeichen verbirgt“, heißt es in Unter Verdacht, „gerade dann, wenn diese Zeichen nicht natürlich , sondern künstlich sind“.
Beginnend mit dem Kubismus habe sich die (selbst erklärt) avantgardistische Kunst ihrer eigenen Materialität zugewandt, was Mar-shall McLuhan in seinem Bonmot „das Medium ist die Botschaft“ nur mehr übertragen habe. Vielmehr aber sei es die dahinter vermutete submediale Sphäre, der das eigentliche Interesse gelte – beim Gemälde, um dessen Auftragetechnik und Leinwandstruktur wir wissen, wie beim technisch erklärbaren Fernsehbild.
Der (Medien-)Theoretiker, der Künstler, eigentlich jeder werde zum Privatdetektiv ohne Auftraggeber, umgetrieben vom Verdacht, auf der Suche nach den Spuren hinter die ihn umgebenden medialen Oberflächen. Dorthin, wo man, und das weist Groys mit einem gewissen Genuss nach, trotz hartnäckiger Austreibungs-, sprich Dekonstruktionsversuche nach wie vor ein Subjekt erwarte.
Über eine andere zwischenzeitlich abgeschaffte Figur im Repräsentationsspiel spricht Groys heute Abend in der Reihe „Kunst als Sinnstiftung“ in der Freien Akademie der Künste: „Die Geburt des Autors“ ist der Titel. Morgen im Literaturhaus wird es Groys und Gastgeber Reinhard Kahl dann um „Verdacht und Verschwörung“ gehen: „Und wie wir leben werden? Ich nehme an, in einem Zustand der permanenten Unsicherheit.“
heute, 19.30 Uhr, Freie Akademie der Künste (Klosterwall); morgen, 19 Uhr, Literaturhaus
Boris Groys, Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien, Hanser Verlag, München 2000, 232 S., 36 Mark
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