Der Antistar-Star

■ Werders Höhenflug hat viele Namen – auf dem Platz vor allem einen: Torsten Frings, Straßenfußballer, Medienmuffel, fast wie ein Relikt aus der guten alten Zeit vor ran

Freunde des heimischen Fußballvereins, mal Hand auf's hanseatische Hasenherz: Hätten wir das gedacht? So viele Punkte, und das schon in der eigentlich traditionell vergurkten Vorrunde? Die Bayern geputzt, die Schalker niedergemacht, die Leverkusener versägt? Acht Siege in neun Spielen? Platz fünf? Hätten wir's geglaubt? Also bitte, wer ehrlich ist: Niemals! Aber vielleicht sollte man sich als Anhänger der Grün-Weißen vielleicht doch mal langsam mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Mannschaft am Ende dieser Saison mehr bietet als die graumäusigste Graumäusigkeit seit Bochum. Platz fünf vielleicht, oder gar mehr? Man möcht's ja nicht verschreien, aber tatsächlich scheint Werder auf dem allerbesten Weg zu sein. Dem nach oben.

Werders Höhenflug hat selbstredend viele Namen: Thomas Schaaf, der eine Mannschaft gefunden und geformt hat, die endlich mal wieder zusammenpasst. Frank Rost, der hält, wie immer. Und das ist Extraklasse. Frank Verlaat, der mit klugen Pässen das Werder-Spiel eröffnet und nicht so oft verletzt ist wie letzte Saison. Krisztian Lisztes, der sich vom traurigen Stuttgarter Bankdrücker zur fröhlichen Zentralstelle für das Passwesen gemausert hat.

Victor Skripnik, den überhaupt niemand mehr auf dem Zettel hatte. Marco Bode, der wieder Spaß am Fußball hat und für die Mannschaft rennt, als sei er zehn Jahre jünger. Und ganz weit vorne: Dieter Eilts. Hat es das je schon mal gegeben? Dass ein so großer Fußballer sich ohne Murren auf die Tribüne setzt? Weil mit Ernst und Borowski zwei Junge im Kader schlicht besser sind? Hut ab! Andreas Herzog hat gezeigt, wie schwach ein Abgang sein kann.

Und dann Torsten Frings. Scheint so, dass der seine Position im Spiel endlich gefunden hat. Vom Sturm über den rechten Part in der seligen Viererkette nun bis in's zentrale Mittelfeld, wo er in den letzten Wochen geradezu genialen Spielwitz beweist. Über Frings' fußballerischen Qualitäten ist mittlerweile so viel geschrieben worden, man kann sich's eigentlich sparen. Drum vielleicht noch das: Gerade er verkörpert den neuen SV Werder wie kaum ein zweiter. Torsten Frings ist der Antistar-Star in einer Mannschaft, die eigentlich keine Stars mehr hat und gerade daraus ihre Stärke zieht.

Wer Torsten Frings beispielsweise im ZDF-Sportstudio gesehen hat, weiß spätestens seitdem, dass da einer der letzten echten Straßenfußballer bei Werder spielt. Das ist keiner von den üblichen glattgebügelten Jungmillionären nach der soundsovielten Rhetorik-Schulung. Frings kommt von unten, Frings ist geraderaus – eine beinahe ausgestorbene Spezies in Fußball-Deutschland. Zum medial vermarktbaren Star taugt so einer nur sehr bedingt, vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass Frings das auch gar nicht will. Ein erfolgreicher Profi, Nationalspieler, das schon. Aber bitte keine Interviews! Das passt! Das passt zu der Werder-Mannschaft, die jetzt so großen Erfolg hat.

Die Mannschaft ist erfolgreich, seitdem Thomas Schaaf Andreas Herzog aussortiert hat. Zufall? Kaum! Herzog hat sich in den letzten Jahren vor allem verbal hervorgetan: Im Anmaulen von Mitspielern, wenn's mal nicht so lief. Die Rolle, die er auf dem Spielfeld wie außerhalb für sich reklamiert hat, war immer weniger durch spielerische Leistung gedeckt. Herzog war nicht nur ein Fremdkörper, Herzogs Divenhaftigkeit war eine Belastung.

Fragt man nun die Werder-Spieler nach den Gründen für ihre Erfolgsserie, dann taucht in allen Interviews das immergleiche Motiv auf: Jeder rennt für den anderen, jeder kann sich auf den anderen verlassen. Sie reden von einer Mannschaft von Gleichen. Andere Vereine können weit überdurchschnittliche Einzelkönner zusammenkaufen, die mit etwas Glück ein erfolgreiches Team bilden. Werder fehlen dazu die Mittel. Die Bremer müssen auf die Kraft des Kollektivs setzen. Und wenn dann noch in diesem Kollektiv der eine oder andere begnadete Einzelkönner mitkickt – dann kann man doch ziemlich optimistisch werden. Vorsichtig optimistisch. Man will's ja nicht beschreien.

Jochen Grabler

(Siehe Bericht auf Seite 18)