: Märchenhafte Geschlechterverhältnisse
Die Prinzessinnen kommen eher nach Pippi Langstrumpf als nach Aschenputtel: „Cinderella passt was nicht“ an der Neuköllner Oper ist ein fröhliches Musical-Durcheinander
Wer dieser Tage mit der BVG fährt, kann – weil die U-Bahnen jetzt ja immer seltener kommen – die schönen Plakate der Neuköllner Oper betrachten. Das neueste zeigt eine schwarze Cinderella mit grimmigem Blick. Ihr weißes Rüschenkleid sieht typisch aus, aber um den Hals trägt sie eine punkige Eisenkette.
Mit einem „schrägen Märchen-Musical“ nimmt sich die Offbühne der in der Weihnachtszeit unvermeidlichen Geschichte an und leuchtet Kindern („ab acht“) und ausdrücklich allen anderen durch die trüben Tage. Dabei herausgekommen ist ein Klassiker mit „Neuköllner-Oper“-Touch: „Cinderella passt was nicht“.
Doch scheren sich Peter Lund (Text und Regie) und Thomas Zaufke (Musik) erst gar nicht um die alte Geschichte. Lieber legen sie von vorneherein erst nach dem sattsam bekannten Schuhanproben-Happy-End los und schubsen die Figuren aus den Cinderella-Versionen von Grimm bis Disney in die Gegenwart. Hier sind die Geschlechterverhältnisse um einiges komplizierter als im Märchen, alles kreist um die Frage, was Mädchen und Jungs denn wirklich wollen. Wollen sie überhaupt, was sie, der Märchenlogik nach, sollen? Es geht also um die Suche nach dem richtigen Lebensstil, darum, ob man konform werden soll oder eben nicht. Das riecht nach Generationenkonflikt: Cinderella revisited.
Die Aschenmaid begegnet uns prompt wieder als Königin Victoria (Ilka Sehnert), die ihren Sohn unter die Haube bringen möchte – eine gute Partie. Schließlich hat sie vor 18 Jahren den royalen Hauptgewinn abbekommen – „durch einen miesen Trick“, keift Gräfin Tita, böse Schwester von einst (schön zickig: Silvia Bitschkowski). Da diese ohne Prinz endete und damit ohne finanzielle Absicherung, will sie Nägel mit Köpfen machen, ihre Tochter mit deren Cousin verheiraten. Was die ungleichen Schwestern eint, ist der Ärger mit dem Nachwuchs, der nicht spurt.
Für die Lieblingstochter Erna (Kathrin Unger), ein rosa Knallbonbon mit dem Hirn einer Erbse, macht es leider nur beim Kammerdiener „ping“. Und eigentlich passt Cinderellas Tochter Johanna sowieso viel besser zum Prinzen. Nur kommt dieses renitente Mädcheneher nach Pippi Langstrumpf als nach Aschenputtel: Sie tut nur, was sie will, und hat keine Lust auf eine eingebildete „aristokratische Knalltüte“. Und wenn man schon das Schloss von innen betrachten muss, dann – logisch – niemals im rosa Kleid.
Hamlet, ihr Märchenprinz, ist für seine Mutter ein noch hoffnungsloserer Fall: eher ein Weichei, das nicht weiß, was es will. Als Sozi hat er nur eine gerechte Welt und die Abschaffung der Monarchie im Kopf. Und mit Mädchen kann der Arme erst mal noch weniger anfangen als mit der überkommenen Staatsform.
Das Musical „Cinderella passt was nicht“ jongliert mit Märchenmoral und Geschlechterrollen und behandelt die altbekannte Erzählung ganz selbstverständlich als simple Anekdote, was das Ganze für Erwachsene sehr witzig macht – und trotzdem nicht verhindert, dass das ganze Schlamassel für Kinder genauso funktioniert. Ohne jede hintersinnige Anspielung zu verstehen, lauern sie direkt auf die lustigen Mauspuppen, die den überdrehten Fortgang des Märchens kommentieren.
Der neu gemixten Geschichte entspricht das fröhliche Musical-Durcheinander zwischen Pop-Oper, Jazz und Disneyhits, dem das fünfköpfige Neuköllner „Hoforchester“ den richtigen Märchenklang gibt. Vor allem sind die liebenswert-abgedrehten Figuren mit dem Ensemble genau richtig besetzt. Die Darsteller schaffen es sogar noch irgendwie nebenbei, den Mäusen Bewegung und Stimme zu verleihen.
Wahrscheinlich haben Peter Lund und die anderen den Erfolg schon vorausgeahnt: Ihr Cinderella-Plakat tauschen sie bis weit über Weihnachten nicht mehr aus. MARKUS TISCHER
„Cinderella passt was nicht“ bis 2. 2. 2002, Do.–So. 19 Uhr, So 15 Uhr, Mi 10.30 Uhr, in der Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133, Neukölln
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