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Deutscher Rap tot

■ Fettes Brot in der Großen Freiheit

Man muss Fettes Brot nicht mögen: Ihre Albernheiten sind oft genug ein Fall für die Wortspielhölle. Ihr Stücke hören sich selten an, als wären sie aus dem Lehrbuch für HipHop-Produzenten entnommen. Und König Boris, Schiffmeister und Doktor Renz kümmern sich einen feuchten Kehricht darum. Im Gegenteil: Als im deutschsprachigen Sprechgesang vor etwa fünf Jahren zum zweiten Mal der Sell-out-Vorwurf ein probates Mittel war, Künstler ein Brett vor den Kopf zu schlagen, erwischte es selbstverständlich die Jungs aus den Hamburger Vororten rund um Halstenbek. Denn spätestens ihr Album Außen Top Hits, innen Geschmack aus dem Jahr 1996 mit den dazugehörigen Singles „Jein“ und „Silberfische in meinem Bett“ verkaufte sich wie geschnitten Brot. Das durfte nicht sein.

Dabei war es auch einmal anders. Die Brote gehörten zu den Kräften im deutschsprachigen HipHop, die sich der neuen Schule zugehörig fühlten und die Klasse von '95 besuchten, einen Zusammenschluss von Leuten von den Stieber Twins über Massive Töne bis hin zu Ferris MC. Dabei sprang einer der ersten Allstar-Tracks heraus, dem sofort ein zweiter folgte: „Nordisch by Nature“ von der LP mit dem prophetischen Titel Auf einem Auge blöd (aber der Erfolg gibt uns recht).

Bestimmt gäbe es auch ohne diese Aufnahme heute den Anspruch, dass Hamburg die Hip-Hop-Hauptstadt mindestens der Republik sei. Doch „Nordisch by Nature“ hat viel zu dieser Entwicklung beigetragen, standen doch hier von Tobi bis Bo, von Eißfeldt bis Fischmob die Vertreter verschiedener hanseatischer Spielarten vor dem Mikrophon. Von diesem Zeitpunkt entwickelte sich Eimsbush und die Fünf Sterne, die wiedererwachte Freude am DJing und der Posse-Gedanke zu dem, was heute unter „Hamburg City rules“ zusammengefasst wird. Und dass der Track ziemlich – Verzeihung – fett ist, zeigte sich beim Flash 99 im Stadtpark, als das Stück erstmals live in fast kompletter Originalbesetzung vorgetragen wurde.

Den Anteil von Fettes Brot an dieser Entwicklung sollte man nicht überschätzen. „Nordisch by Nature“ taugt dazu, die Szene zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kennzeichnen. Unterschätzen sollte man den Einfluss allerdings auch nicht. Mit ihrem neuen Album Demotape versuchen die drei, neue Wege zu gehen. Hieß es bei Außen Top Hits... noch: „Wir müssen HipHop retten“, wird der Spieß jetzt umgedreht. Deutscher Rap wird im Stück „Motherfucker“ totgeschlagen. So einfach ist das. Das Label wird abgerissen und durch kein neues ersetzt. Da ist dann auch ein Stück erlaubt wie das grässliche „The Grosser“, eine Cover-Version von Steve Millers „Joker“, oder darf Doktor Renz ungestraft bitten: „Würden sie mich kurz küssen?“ Das macht alles nichts: Wer so weit ab von allem ist wie Fettes Brot, darf sich alles erlauben.

Eberhard Spohd

Sonntag, 21 Uhr, Große Freiheit 36

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