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Stille über der Tundra

Fischen im Eisloch, eine Freilassung aus dem Gefängnis und Exorzismus im Schnee: Das fsk-Kino zeigt drei sehr unterschiedliche Dokumentarfilme aus Finnland

Bei Finnland denkt man ans Autoschnellfahren und Aki Kaurismäki, in Finnland werden aber auch prima Dokumentarfilme hergestellt. Das verdienstvolle Kreuzberger FSK-Kino zeigt drei von ihnen.

„Das Opfer – ein Film über den Wald“ (1998) von Markku Lehmuskallio erzählt vom Volk der Selkups, die seit 400 Jahren in der Nähe der russischen Handelsstraßen leben. Sie fischen und jagen im westlichen Sibirien, nicht viel anders als immer schon. Tipis werden gebaut, Fische im Eisloch gefangen. Alte Frauen singen ohne Bedauern bei der Arbeit davon, dass sie nun bald auch wieder gehen werden und die Nachkommen reich werden sollen. Das ist schön, in einer Zeit, in der die Spuren des Lebens verwischt werden sollen und nichts so verdrängt wird wie der Tod, selbst im Krieg. Irgendwann beklagt sich eine alte Frau darüber, dass zu viel Fernsehen geguckt werden würde. Das ist nicht gut, denn das Fernsehen zeigt, wie Leute rauchen und trinken.

Anu Kuivalainens Dokumentation „Schwarze Katze im Schnee“ berichtet von einer Frau, Ende dreißig vielleicht, die ihren Mann betrunken und im Affekt in einer Silvesternacht erstach. Der Film beginnt mit ihrer Entlassung nach vier Jahren Gefängnis. Sie hatte ihre Strafe akzeptiert; sie fühlt sich nicht als Opfer, sie dankt dem Gefängnispersonal, bevor sie unsicher geht an einem Silvestertag und fährt durch verschneite Straßen in der Dämmerung, die wunderbar blau aussehen, in ein neues Leben, das schwierig ist. Die neue Wohnung muss eingerichtet werden, irgendwie muss sie ihrer Tochter, die damals ein Jahr alt war, erzählen, was damals geschah. Die Tochter hofft, dass sich die Mutter im nächsten Laden einen neuen Papa kauft. Doch das geht ja leider nicht. Oft haben Mutter und Tochter glitzernde Masken über den Augen. Ganz kurz wird einmal „Killing me softly“ eingespielt. Der Film ist ruhig und traurig und mit vielen Großaufnahmen gedreht.

Von „Tanjuschka und die 7 Teufel“ von Pirso Honkasalo, der 1993 im Forumsprogramm der Berlinale lief, hatte man gehofft, dass der Film auch mal in die Kinos kommt. Die Heldin ist ein zwölfjähriges Mädchen aus Weißrussland. Mit zehn hatte sie aufgehört zu essen, dann sprach sie nicht mehr, dann hörte sie auch auf, weiter zu wachsen. Die Eltern reisen von einem Wunderdoktor zum nächsten und bringen sie nach Minsk in die Psychiatrie, wo man Schizophrenie diagnostiziert und es mit Medikamenten ruhig stellt. Schließlich suchen sie Hilfe im fernen Estland bei Vater Wassili, dem einzigen Priester der russisch-orthodoxen Kirche, der autorisiert ist, Exorzismen vorzunehmen. Das Kind sei von sieben Teufeln besessen, sagt der Priester und verordnet langwierige religiöse Veranstaltungen. Die Landschaften, die während einer Zugfahrt zwischen Weißrussland und Estland vorbeiziehen, stimmen sehnsüchtig-melancholisch. Irgendwann einmal lacht das Kind und möchte Schokolade.

DETLEF KUHLBRODT

Täglich um 18.30 Uhr im FSK am Oranienplatz, Segitzdamm 2, Kreuzberg. „Schwarze Katze im Schnee“ bis 10. 12., „Das Opfer“ bis 19. 12., „Tanjuschka und die sieben Teufel“ bis 15. 12.

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