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Der Fluch des Verschwindens

Ein Film über einen Unsichtbaren: „Thomas Pynchon – A Journey into the Mind of P.“ von den Brüdern Dubini

1997 veranstaltete Melvin Bukiet, Betreiber des New Yorker Szenelokals KGB, ein Thomas-Pynchon-Lookalike. Anlass war die jüngste Veröffentlichung aus der Feder des wohl weltweit berühmtesten Unbekannten.

Angesichts der Tatsache, dass offiziell niemand um Pynchons aktuelle Erscheinung weiß, stellte ein solcher Contest natürlich ein Paradox dar, zeitigte aber die (gewünschten) Spekulationen wildester Natur. Die Anwesenden musterten einander voller Neugier und Argwohn. Böte ein solcher Anlass dem von jahrzehntelanger Weltabgeschiedenheit frustrierten Meister nicht die perfekte Gelegenheit, sich unerkannt unter seine Bewunderer zu mischen? Wer unter den Anwesenden käme in Frage? Schon bald stand fest: nur jener, sich höchst verdächtig verhaltende Mann mit langem Mantel, Sonnenbrille und Hut kann der Betreffende sein! Als zahlreiche Augenpaare den Verdächtigen fixierten, verließ er fluchtartig das Lokal. Für die Pynchomanen ein Beweis mehr. Vielleicht handelte es sich ja wirklich um den Autor. Wahrscheinlicher aber doch nur um einen harmlosen Passanten, der sich zufällig in das KGB-Panoptikum verirrt hatte.

Eine schöne Anekdote aus der aktuellen Dokumentation der Dubini-Brüder über Thomas Pynchon. Sie umreißt das Ausmaß der Mythenproduktion – eine getreue, doch dialektisch folgerichtige Reaktion medialer Neugier auf Liebesentzug. Denn natürlich handelt es sich bei Pynchons Verweigerungsgestus um eine im Umkehrschluss wirksame Bedienung üblicher PR-Strategien – und auch ein lauthals deklariertes Anti-Markenzeichen bleibt immer noch ein Markenzeichen. Pynchon ist und bleibt Kult. Er fand Einzug in die musikalische Avantgarde von Laurie Anderson bis The Residents (von denen auch der Soundtrack zum Film stammt), stand Pate für Romane von Jim Dodge und Don DeLillo und spornte zahllose Nachahmer an. Allein die Interneteinträge!

Obwohl die Macher letztlich eher Pynchons Mythos reproduzieren, als sich inhaltlich oder ästhetisch mit seinem Werk zu befassen, so bietet doch das zutage geförderte Material ausreichend Stoff für weiterführende Reflexionen. Und macht vor allem Lust, Pynchons Romane noch einmal zu lesen. Schnell rücken diverse Verschwörungstheorien ins Zentrum der Betrachtung – deren Verführungspotenzial entfaltet sich in bewährter Weise. Tatsächlich lässt sich nachweisen, dass Pynchon als junger Mann zunächst an der Cornell University studiert hat. Genau dort, wo die CIA Experimente mit LSD durchgeführt hat – gewissermaßen als Fortsetzung von Experimenten, die in deutschen Konzentrationslagern mit künstlichen Drogen stattgefunden hatten.

Später arbeitete der Autor für Boeing, war sogar an der Entwicklung der Minuteman-Rakete beteiligt, die ja unter der Vorherrschaft Wernher von Brauns stand, also auf V1 und V2 basierte. Jenseits der durchaus nahe liegenden Nazi-Nasa-Allianz ergeben sich weitere Kombinationen. Hat die CIA einst gezielt LSD in die Subkultur eingeschleust, um diese zu entpolitisieren? War Flower Power ein Pentagon-Konzept? Muss Timothy Leary als deren agent provocateur eingestuft werden? Und was ist mit Pynchon selbst? Hat er sich vielleicht aus moralischer Läuterung von der Öffentlichkeit zurückgezogen, nachdem er jahrelang mit dem System kollaboriert hatte? Oder aus Angst vor Agenten? Oder doch nur, weil er mit einem für amerikanische Verhältnisse inakzeptablen Bugs-Bunny-Gebiss geschlagen ist? Herr Bröckers, übernehmen Sie.

CLAUS LÖSER

„Thomas Pynchon – A Journey into the Mind of P.“. Regie: Fosco und Donatello Dubini, Deutschland 2001, 92 Min.

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