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Minimalistisch küssen

Penetranz, Banalität und die Liebe zur materiellen Reinform: Das Arsenal zeigt den dritten Teil seiner Retrospektive mit Filmen von Andy Warhol. Dabei bietet sein monotoner Voyeurismus kaum sinnliche Identifikationspotenziale

Warhol mag ein ausgezeichneter Psychologisierer des Alltäglichen gewesen sein, er war aber ganz sicher auch ein obsessiver Dokumentarist des Banalen. Banalität nicht als Pose, sondern als „Found Object“ – readymadehaft, unformuliert und meistens auch ziemlich erschreckend. Erschreckend vor allem in der Durchschaubarkeit von Alltagsmythen und durch die unmittelbare Erfahrung der (immer auch eigenen) Grenzen der Erkenntnisproduktion. Der Zustand der scheinbaren Bewegungslosigkeit auch von Kommunikation hat Warhol dabei immer fasziniert, weil er ihm unendlich viel Raum zum Verweilen und Beobachten bot: Unter seinem voyeuristischen Blick verwandelte sich die gesamte „Factory“ in einen veritablen Sozialzoo.

Für Warhols Vision eines Kinos der Sichtbarmachung ist das Banale das wichtigste Arbeitsmaterial gewesen. Warhol sah in der Rohmasse der menschlichen Handlungs- und Denkmuster eine fast spirituelle Qualität, die es unter größter Konzentration herauszuarbeiten galt. Worte hatten letztlich (sofern überhaupt gesprochen wurde) keinerlei Bedeutung mehr. Die Bilder erlangten – ähnlich dem Cinéma Vérité – materielle Reinform, sozusagen das Ideal des dokumentarischen Ausdrucks.

Die letzte Staffel von Warhol-Filmen, die ab heute im Arsenal unter dem Titel „Camp and Body“ läuft, ist von allen drei Themenblöcken wohl am Exemplarischsten für seine Arbeitsweise. Dokumentarismus und Psychologie bedingen sich in Filmen wie „Blow Job“, „My Hustler“ und „The Chelsea Girls“ durch die Nähe der Kamera zum Objekt, zeigen aber gleichzeitig auch die Anstrengungen, mit denen eine Rezeption der Warhol-Filme heute zu kämpfen hat. Die ästhetische Formel seiner Auseinandersetzung mit Menschen und ihren schwierigen, letztlich aber doch banalen Befindlichkeiten ist – das muss man angesichts der neuen Warhol-Euphorie wohl sagen – am „next level“ gescheitert. Das betrifft gerade die Filme, die sich noch am ehesten dem Metier des „erzählenden Films“ nähern. Ihr zweifellos vorhandenes Wissen ist selten Resultat genauer Beobachtung, sondern eher von ausgemachter Penetranz. Darin scheitern Filme wie „Nude Restaurant“ und (nicht nur aus diesem Grund) „Bike Boy“. Banalität ist ein Zustand, der auf der Zeitachse unserer Wahrnehmung erst seine größte Wirkung entfaltet. Warhols unendliches Verweilen bei seinen Figuren hat etwas Gewalttätiges, weil er einfach nicht locker lässt und immer wieder in private Sphären eindringt - beim Schlafen („Sleep“), der Essensaufnahme („Eat“) oder beim Küssen („Kiss“).

Die Monotonie der Handlungen bietet gerade durch die Redundanz massenweise Projektionsflächen, liefert jedoch kaum sinnliches Identifikationsmaterial. Ähnlich wie die „Minimal Music“ von Steve Reich und La Monte Young, die etwa zur selben Zeit nach ähnlichen Prinzipien funktionierte, blieb Warhols „Intensivierung der Wahrnehmung“ nicht mehr als ein starker Ausdruck, der die filmische Bildersprache enorm bereicherte, aber in der Galerie einfach besser aufgehoben war als im Kino.

Das Paradoxe an der Rezeption von Warhols filmischer Arbeit ist ja immer gewesen, dass er als kommerzieller Künstler wahrgenommen (und diskreditiert) wurde, obwohl seine Filme die Konventionen des amerikanischen Unterhaltungsfilms stets unterminiert haben. Ganz klassisch dramaturgische Qualitäten sind in Warhols Filmen aber tatsächlich nicht zu leugnen: Wie in „The Hustler“ Ed Hood, Joe Campbell und Paul America in bissigen Sextalks die Machtverhältnisse ihrer Männlichkeit ausloten, hat bis heute nichts an Relevanz verloren. Mit „The Chelsea Girls“, einer konzeptionellen Anlehnung an das „Menschen im Hotel“-Sujet, hat Andy Warhol schließlich seinen vielleicht schönsten Film geschaffen. In zwölf Kapiteln blickt „Factory“-Kameramann Billy Name in die Hotelzimmer von Nico, Ondine, Ingrid Superstar, Eric Emerson oder Ed Hood und schafft einige faszinierende wie poetische Momentaufnahmen. Die Episode „Nico cries“ ist auch ein perfektes Beispiel für die Übereinkunft des Psychologischen und des Dokumentarischen: Die Kamera ist ganz dem Gesicht Nicos verhaftet, deren Zerbrechlichkeit sich darin wie ein seismischer Ausschlag spiegelt. ANDREAS BUSCHE

Bis 16.12., Arsenal, Potsdamer Straße 2

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