: Mit obligatorischem Dutt
■ Wilhelm Buschs „Die fromme Helene“ am Lichthof-Theater
Die Unterscheidung in saufendes Genie und fressende Dummheit ist Wilhelm Buschs Spießbürgertum fremd: Hier schaufelt und kippt man in sich hinein, was das Zeug hält – und das bei feinster Doppelmoral. Besonders schön führt dies Die Fromme Helene vor, der der Meister 1872 Leben einhauchte. Neu aufgelegt hat sie jetzt die jüngste Lichthof-Produktion in der Regie von Maryn Stucken. Schon der Vorraum des Theaters stimmt – geschmückt mit Kalendertürchen an den Wänden – ganz auf Weihnachten ein, schließlich hat mit Die Fromme Helene der Lichthof-X-Mas-Countdown begonnen. Im Saal sind die Tische mit Lebkuchen und Spekulatius eingedeckt, so dass auch das Publikum ordentlich zulangen kann.
Zuerst nimmt Werner Loll am Klavier auf der Bühne Platz. Sonst für die Stummfilm-Begleitung im Metropolis zuständig, untermalt er hier das Geschehen um Lenchen. Die tritt bei Maryn Stucken gleich in fünffacher Version auf, dargestellt von Helma Demel, Linde Lange, Annette Koldewey-Andresen, Doro Meyer-Hauth und Karin Romahn: fünfmal mit dem obligatorischen Dutt, ausgeschnittenem Oberteil und grünem Rock – auf dem Hinterteil hübsch aufgetürmt. Es ist das grüne Outfit, das Helenes Tante auf dem Lande so verhasst ist. Denn damit bringt Helene nur den Vetter Franz durcheinander. Und die liebe Tante und Onkel Nolte wollen ja nichts mehr, als Lenchen vor jeglicher Untugend zu bewahren.
Trotzdem geht es mit Helene steil bergab: Die Jugendstreiche werden abgelöst vom außerehelichen Kinderzeugen und dem immer häufigeren Griff zur Likörflasche. Bis allerdings Helene in der Hölle schmort, amüsiert das fünfköpfige Ensemble durch flotten Rollenwechsel. Die Schauspielerinnen geben neben der abgebrühten Helene auch die anderen Protagonisten: Mit köstlich verzerrter Mimik lassen sie Helenes Gatten gleich dreimal an einer verschlungenen Gräte ersticken und erwecken die verknöcherte Tante und den tumben Onkel zum Leben. Dessen Schlussworte auf Helenes Tod („Da bin ich wirklich froh. Denn, Gott sei Dank! Ich bin nicht so!“) desavouiert auch heute noch jede selbstgerechte Besserwisserei. Und dass sich keine Darstellerin auf die Helene auf moralischen Abwegen festlegen lässt, verweist wohl auf die unehrliche Helene in uns allen. Besinnlich stimmt das zwar nicht. Doch Buschs so locker vorgetragenen Verse erfreuen allemal.
Liv Heidbüchel
keine weiteren Aufführungen im Dezember
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